Blutiger Frühling
Hannes?«, fragte Anna Elisabeth und warf dem Müller einen unsicheren Blick zu.
Hannes schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsst ...«
Es klopfte noch einmal und viel härter. »Macht auf«, forderte eine heisere Stimme, »aber hurtig – eh wir die Tür aufbrechen!«
Hannes öffnete und starrte den Mann, der die barschen Worte geäußert hatte, finsteren Blickes an. Doch seine Erwiderung blieb ihm in der Kehle stecken. Denn der Bewaffnete war einKlosterknecht, der jetzt den drei anderen, die mit ihm gekommen waren, einen knappen Wink gab. Die Männer hievten eine in eine wollene Decke eingerollte Gestalt von einem ihrer Pferde herunter und ließen sie einfach zu Boden gleiten. Dann, ohne sich weiter um denjenigen zu kümmern, den sie abgeladen hatten, saßen die Knechte wieder auf und ritten geschlossen vom Hof.
Hannes Rebmann war mit drei, vier Schritten bei der Gestalt, die da im Schnee lag. »Vater«, stieß er entsetzt hervor, »was haben die mit Euch gemacht ... wie übel hat man Euch mitgespielt ... !«
Der Alte ächzte leise. Er war so entkräftet, dass er nicht sprechen konnte, aber der Blick seiner tief in den Höhlen liegenden Augen sagte genug. Anna Elisabeth, die zitternd neben ihm niedergekniet war, konnte es nicht fassen. Ihr Vater, der doch vor seiner Verhaftung noch recht gut beieinander gewesen war, bot jetzt den Anblick eines Sterbenden – und er war es wohl auch. Denn seine Hände waren eiskalt, und Anna Elisabeth hatte den Eindruck, als atme er kaum noch.
Mit vereinten Kräften trugen ihn die Nachbarn ins Haus und betteten ihn in seiner Kammer, während Hannes ein Kohlenbecken hinauftrug und anzündete. Anna Elisabeth bereitete eine Brühe aus Rüben und einem Stückchen Speck und flößte ihm geduldig etwas davon ein. Aber so sehr sie sich auch bemühte, der Vater konnte beinahe nichts mehr schlucken, und immer wieder floss das meiste davon aus seinem Mundwinkel hinaus.
Die Nachbarn und die Männer aus den anderen Dörfern gingen heim. Der Zug zum Kloster musste verschoben werden – denn Hannes, ihr Anführer, war jetzt nicht abkömmlich. Familiendinge duldeten keinen Aufschub, und alles andere hatte zu warten.
Anna Elisabeth wachte die ganze folgende Nacht am Lagerihres Vaters. Der lag wie tot. Kaum dass ein schwacher Atem seine Brust hob und senkte. Hin und wieder drang ein mattes Röcheln aus seiner Kehle; Anna Elisabeth hatte das Gefühl, als schmerze ihren Vater das Atmen. Gegen Morgen ergriff ihn ein heftiges Fieber, das ihm den Schweiß aus allen Poren trieb und ihn noch mehr schwächte.
Anna Elisabeth hatte Angst. Mit allen Mitteln suchte sie das Fieber ihres Vaters zu senken. Sie umwickelte seine Waden mit feuchten Leintüchern. Sie versuchte ihm erneut warme Brühe einzuflößen. Sie kühlte seine glühende Stirn und wechselte mehrmals sein durchgeschwitztes Hemd. Aber nichts hatte eine rechte Wirkung. Hannes, der hilflos dabeistand, konnte förmlich sehen, wie die Kräfte seines Schwiegervaters mehr und immer mehr abnahmen. Gegen Abend, als das Fieber weiter anstieg, verließ er die Krankenstube. Er konnte seine eigene Hilflosigkeit nicht mehr ertragen.
»Hannes, wohin willst du?«, fragte Anna Elisabeth. »Nur hinaus. Brauch frische Luft!«
»Lass mich nicht allein, Hannes!« Anna Elisabeths Stimme zitterte.
»Du schaffst das schon«, war seine knappe Antwort. Er wandte sich zur Stiege.
»Bitte, bleib in der Nähe«, bettelte Anna Elisabeth. »Sieh nach, ob das Feuer auf dem Herd noch brennt – und bring mir frisches Wasser herauf.«
»Das soll die Gertrud machen«, gab Hannes zurück. »Ihr Weiberleut könnt das viel besser als wir Männer.«
Er ging einfach, ohne Anna Elisabeth noch einen Blick zu widmen. Sie hörte seine schweren Schritte auf der Stiege. Er entzog sich seiner Pflicht, ihr beizustehen – schon jetzt.
Noch vor wenigen Monaten wäre sie schrecklich enttäuscht und verletzt gewesen. Heute war ihr seine Gleichgültigkeit einerlei. Sie tastete nach dem Ringlein, das sie an der Lederschnur umden Hals trug, zog es hervor und presste die Lippen auf den glatten goldenen Reif. »Du hast Recht, Liebster«, flüsterte sie, »wir gehören zusammen und sollten nicht mehr zurückschauen ...«
Ein Betteljunge habe das Päckchen am Tor von Weißenstein abgegeben, sagte Christoph und reichte Albrecht ein Stück zusammengefalteter Birkenrinde.
»Und wie war seine Botschaft?«, wollte Albrecht wissen.
»Er hatte keine«, erwiderte Christoph langsam,
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