Blutiger Klee: Roman (German Edition)
den Geschirrspüler getan.«
Die Morgendämmerung
sickerte grau wie Asche durch die Bretterritzen. Grau waren ihre Gesichter und die
Bartstoppeln, nur die Nase vom Edi war so rot wie immer.
»Er hat
Linsen in den Schuhen gehabt«, sagte Raffi endlich.
»Nicht wegen
mir«, sagte Edi Schmutz. Raffael Gleinegg streckte die Hand aus und zog seinen Bruder
an sich.
*
Trockene Blätter wirbelten über
die Fahrbahn, sie fuhren wie durch einen Laubregen. Die Windböen kamen aus allen
Richtungen, eine alte Frau hielt sich an einem Lichtmast neben der Straße fest.
Der Skoda geriet immer wieder ins Schlingern, Leo fuhr viel zu schnell, aber Pestallozzi
sagte kein Wort. Salzburg und Hof und Fuschl lagen bereits hinter ihnen, vor ihnen
stieg ein Wolkenkegel auf, als ob der See hinter dem Berg blauschwarze Lava speien
würde. Sie sprachen kein Wort. Noch im Präsidium hatte Pestallozzi Leo von seiner
langen Nacht berichtet und von der Ahnung, die sich für ihn längst zu einer Gewissheit
verdichtet hatte. Heute würden sie den Fall Gleinegg zu einem Abschluss bringen.
Oder es würde ihnen jemand zuvorkommen.
»Fahr schneller«,
sagte Pestallozzi.
Die lange
Kurve hinunter nach St. Gilgen, sie tauchten in die graue Suppe ein. Die Berge und
der See waren von der Welt verschwunden, nur die orangen Lampen der Sturmwarnung
blinkten durch die Düsternis. In allen Orten standen jetzt die Männer der Wasserrettung
bereit, um hinauszufahren und ihr Leben zu riskieren für die paar Idioten, die immer
wieder den See unterschätzten. Weil sie ja schon vor Madeira und Santorin gesegelt
waren, da würde man ja wohl mit so einem Tümpel mitten in den Alpen fertig werden.
Bis sie vom Wind und vom Wasser zu schlotternden Punkten weit draußen zusammengestaucht
waren, die plötzlich ums blanke Überleben kämpften. Jedes Jahr starben Menschen
in dem Gewässer, das auf Ansichtskarten so idyllisch und harmlos dalag.
Der Nebel
riss für einen Moment auf und gab den Blick auf die Wellen frei, die zum Ufer rollten.
Zum Glück war kein Boot zu sehen, dann nahm ihnen der Wald entlang der Straße wieder
die Sicht. Die letzte Kurve um das östliche Ufer, Leo stieg endlich ein wenig vom
Gas. Der Ort tauchte auf wie eine verwunschene Siedlung aus den Schwaden, sie preschten
über die Bundesstraße bis zur Hotelabfahrt hinunter zum ›Kaiserpark‹. Regen hatte
eingesetzt, wie eine Wunde, die endlich aufbricht. Leo hielt mit quietschenden Reifen
vor dem Portal, sie stiegen aus und sahen sich um. Leo wollte schon die Stiegen
hinauf zum Hoteleingang sprinten, aber Pestallozzi hielt ihn mit einer Handbewegung
zurück. Eine Unruhe lag über dem See, auch wenn sie nichts sehen oder hören konnten.
Nur die einsame Gestalt einer Frau war zu erkennen, die am Ende vom langen Steg
neben dem Kurpavillon stand, mitten im Regen, der mittlerweile fast waagrecht gegen
ihre Gesichter peitschte. Sie gingen auf die Frau zu, schon nach wenigen Metern
begann Pestallozzi zu laufen, Leo neben ihm. Der Steg war so glitschig, dass sie
Mühe hatten, nicht auszurutschen. Endlich waren sie an seinem Ende angelangt. Die
Frau drehte sich für einen kurzen Moment um, dann sah sie wieder auf das grau tosende
Wasser hinaus.
»Der Edi
ist draußen«, sagte Katharina Luggauer. Sie trug einen Wetterfleck aus Loden, von
dem die Tropfen wie kleine Bäche abperlten. Ein Schirm wäre völlig zwecklos gewesen.
»Der Raffael hat das in der Früh entdeckt, weil er den Edi gesucht und nicht gefunden
hat. Und dann hat er gemerkt, dass auch das Boot weg ist. Jetzt sind sie draußen
und suchen ihn, der Krinzinger ist auch dabei.«
Weit draußen
schienen Lichter zu tanzen, wie Scheinwerfer, die sich durch den Nebel pflügten.
Dann war der Lichtschein wieder verschluckt.
»Sie haben
es die ganze Zeit über gewusst, nicht wahr?«, sagte Pestallozzi. »Dass der Edi Schmutz
der Sohn vom alten Gleinegg war.«
Die Frau
neben ihm stand regungslos.
»Warum haben
Sie es mir nicht gesagt?« Er hätte sie am liebsten geschüttelt, nicht aus Wut, sondern
aus einem Gefühl heraus, das sich aus vielen anderen zusammensetzte. Zorn und Kummer,
Resignation und Müdigkeit.
»Weil es
40 Jahre lang auch sonst niemand hat wissen wollen«, sagte Katharina Luggauer. Sie
sahen sich einen Augenblick lang an, dann wandte sie den Blick ab und sah wieder
aufs Wasser hinaus.
Die Kälte
war wie ein Bad aus Säure, in das sie langsam getaucht wurden. Leo spannte alle
Muskeln an und ließ wieder locker, aber die
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