Blutiger Klee: Roman (German Edition)
Korsett
aufrecht hielt. Der Jakob Rittlinger in der aufgeräumten blitzsauberen Küche, wo
der wohl enden würde? Der Patrick Gmoser und der Fabian Loibner, die beiden Möchtegerndetektive.
Der wütende Loibner-Bauer. Der Edi Schmutz mit seiner Kochmütze, der sich schützend
vor seinen Lehrling gestellt hatte. Die Frau von der Wollstube, die so trostlos
auf ihren gepackten Siebensachen gesessen war, wie hatte sie bloß geheißen? Die
freundliche Suse vom Café. Der Krinzinger, der sich redlich Mühe gab und sich so
offensichtlich wie ein Mühlstein zwischen allen Fronten fühlte. Die ganzen Honoratioren,
der Holzinger und der Blücher. Einer von ihnen hatte das Messer geführt. Einer aus
dem Ort, aus der Familie. Die Tante Gisela mit ihrem entstellten Gesicht. Die Charlotte,
die zum See gegangen und nicht mehr zurückgekommen war. Es war an der Zeit, dem
Spuk ein Ende zu machen.
Pestallozzi
schaltete die Schreibtischlampe ein, ihr Schein erhellte die Tastatur, aber der
Raum ringsum blieb im Dunkeln. Heute Nachmittag waren sie noch bei diesem Professor
gewesen. Der hatte sie zunächst mit ein paar höflichen Floskeln und nichtssagenden
Hinweisen abfertigen wollen. Ärzte ließen sich nur höchst ungern auf Diagnosen festnageln,
damit war zu rechnen gewesen. Aber dann hatte er Feuer gefangen, der Fall war auch
zu interessant und prominent. Pestallozzi konnte sich nur zu gut vorstellen, wie
der Herr Professor in Zukunft auf Kongressen, bei Konsultationen und unter vier
Augen auf seine entscheidende Rolle bei der Klärung hinweisen würde: »Übrigens,
damals beim Baron Gleinegg …«
Jedenfalls
hatte er gar nicht mehr zu reden aufgehört, die Sekretärin hatte mehrere Male den
Kopf zur Tür hereingesteckt und den Herrn Professor eindringlich zum Aufbruch gemahnt.
Schließlich hatte er ihnen noch einige Fotos auf dem Computer gezeigt, der Leo war
ganz käsebleich im Gesicht geworden. Nach dem Termin hatten sie einen Tee getrunken,
ohne Rum, dann waren sie nach Hause gegangen. Leo wollte noch joggen.
Pestallozzi
starrte auf den blinkenden Cursor, dann rief er Google auf. Er tippte ein Wort mit
fünf Buchstaben ein und startete die Suche. 47 Millionen Treffer in 0,25 Sekunden.
Er ergänzte das Wort um den Begriff »Erbkrankheiten«. 65.400 Treffer, auch eine
gewisse Lady Gaga war angeblich davon betroffen. Er sah sich die ersten Seiten an,
dann rief er die oberste Eintragung auf. Pestallozzi begann zu lesen. Es würde eine
lange Nacht werden.
*
»Lupus«, sagte Edi.
Sie saßen
im Bootshaus, Mitternacht war längst vorüber. Das spürten sie beide, ohne auf funkelnde
Ziffernblätter und Zeiger schauen zu müssen. »Solang die Sonn’ und der Mond am Himmel
stehen, brauchst ka Uhr.« Das hatte der Holzfäller-Gusti immer gesagt, bis er im
Wald oben am Wieslerhörndl von einer Fichte erschlagen worden war. Der Spruch hatte
ihnen getaugt und sie hatten sich fortan stur geweigert, eine Armbanduhr zu tragen.
Auch so eine Marotte, die sie schon seit ihrer Jugend verband.
Zwei Jahre,
na, fast drei Jahre lang hatten sie sich nicht gesehen, aber es passte noch immer.
Eine leere Bierflasche kollerte über die Bohlen vom Bootshaus, sie waren längst
zum Schnaps übergegangen. Eine Zeit lang hatte der Edi immer allerfeinsten Champagner
zu ihren Treffen mitgebracht, aus den Küchen, in denen er gearbeitet und sich langsam
zum Chef hochgedient hatte. Aber dann hatte er es sein lassen, die Angeberei war
nur lächerlich gewesen. Und jetzt tranken sie wieder Bier und Schnaps, so wie früher,
und aßen tropfende Ölsardinen aus der Dose dazu, ohne Brot.
Das Boot
schlug gegen die Wände, draußen über dem See wurde das Wetter rauer. Aber im Bootshaus
war es so gemütlich wie nirgends sonst auf der Welt, es roch nach Tauen und alten
Putzlappen, nach Gummistiefeln und feuchtem Holz. Nach den leeren Säcken, auf denen
sie saßen. So hatte es schon immer hier drinnen gerochen. Seltsam, das fiel ihm
jetzt zum ersten Mal so richtig auf. Wie wichtig ihm Gerüche immer gewesen waren.
Dass er nur die Augen zu schließen brauchte, wenn ihn ein Geruch streifte, und Erinnerungen
brachen über ihn herein wie ein Sturzbach. Jetzt saßen sie hier, und er fühlte sich
so seltsam aufgespalten. Als ob er wieder der junge Spund wäre, der Zuflucht gesucht
hatte vor den Schlägen und der Gewalt zu Hause. Aber er war auch der große schwere
Mann, der er seither geworden war. So groß und unbeholfen, auch wenn er noch immer
durch die Küchen
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