Blutiger Klee: Roman (German Edition)
Speck und ein paar Dosen Bier, das hatte er
fast immer vorrätig. Nun ja, die Milch war ziemlich oft bereits abgelaufen gewesen
und die Eier lagerten manchmal so lange im Fach, dass beinahe schon Küken schlüpften.
Aber nicht heute. Denn gestern war er groß einkaufen gewesen, in diesem neuen Supermarkt
gleich hinter der Polizeisicherheitsdirektion. Anschließend hatte er seine Vorräte
durchgemustert, ausgemistet und anschließend die Wohnung geputzt, so gut er das
eben konnte. Staubgesaugt und die Fenster aufgerissen, den halb verdorrten Weihnachtskaktus
– ein Geschenk seiner Schwester Moni, von wem sonst – mit einer halben Flasche Wasser
aufzupäppeln versucht. Fast alle Menschen, die er kannte, hatten eine Putzfrau,
die mindestens einmal in der Woche kam und nach zwei Stunden die Wohnung erfüllt
von Zitrusduft wieder verließ. Aber eine Frau zum Putzen zu engagieren, das erschien
ihm einfach als ein abwegiger Gedanke.
Er griff
nach dem Speck, den er gestern gekauft hatte. Der so köstlich geräuchert roch und
von wunderbar ungesunden Fettstreifen durchzogen war. Dazu noch Champignons und
Cocktailtomaten, alles schon fertig in Schächtelchen verpackt, einfach ideal für
einen Mann, der ratlos zwischen den Regalen herumstreifte. Fast hätte er über sich
selbst gelacht, als er endlich an der Kassa stand. Es fanden sich immer die gleichen
Zutaten in seinem Wagen, egal wie lange er herumkurvte. Die Zutaten für das einzige
Gericht nämlich, das er wirklich perfekt zubereiten konnte: English breakfast. Das
war einfach seine absolute Lieblingsspeise, seitdem er sie vor vielen Jahren in
einer Jugendherberge nahe Oxford in sich hineingeschaufelt hatte. Eier mit Speck,
dazu schön scharf angebrutzelte Champignonhälften und Tomaten, eine Scheibe Bauernbrot
mit ordentlich Butter darauf. Und eine Kanne Kaffee oder eine Dose Bier, je nach
Tages- oder Nachtzeit. Pestallozzi hatte in seinem Leben bestimmt mehr English breakfasts
verputzt als Queen Mum selig.
Er holte
seine teflonbeschichteten Pfannen aus dem Regal, in denen garantiert nichts anbrennen
konnte. Das hatte ihm die Verkäuferin damals versichert, und es stimmte, zum Glück.
Er begann, den Speck in Streifen zu schneiden und die Champignons zu halbieren,
exakt und voller Konzentration. Alltägliche Handgriffe, die er wie einen Wall gegen
die Bilder in seinem Kopf aufzuschichten versuchte. Die vielen Bilder in seinem
Kopf, angesammelt in so vielen Jahren. Und jetzt war wieder ein neues dazugekommen.
Der Edi Schmutz, den die Taucher ans Ufer brachten. Der Edi Schmutz mit Steinen
in den Taschen, um nur ja sicherzugehen und jede Hoffnung und jede Umkehr im allerletzten
Moment auszuschließen. Um nur ja in dem sturmgepeitschten Wasser zu versinken. Der
Vater hatte Linsen in den Schuhen getragen, der Sohn Steine in den Taschen gehabt.
Wie die Pilger auf dem uralten Pfad, von dem ihnen die Helene Zilinski erzählt hatte,
damals in dem düsteren Salon an jenem ersten Abend.
Er schlug
die Eier in eine Glasschüssel und verquirlte sie mit Salz und Pfeffer. Dann schaltete
er die Herdplatte ein. Auf dem Küchentisch lag ein Stapel Zeitungen, er wischte
sie mit einer heftigen Bewegung zur Seite. Es war zu erwarten gewesen, aber die
Sensationsberichte rund um die Aufklärung des Gleinegg-Falls widerten ihn trotzdem
an. Alle die Geschichten, die jetzt wieder ausgegraben wurden. Die Fotos, die auf
den Titelseiten prangten. Taucher, die sich über ein nasses Bündel beugten. Der
Raffael Gleinegg, der wie ein wütender Stier auf die Kameras loszustürmen schien.
Die Henriette Gleinegg, die beim Verlassen der Villa am Salzachkai den Kopf so hoch
und stolz trug wie eine ägyptische Pharaonengattin. Und das Foto, das ein hartnäckiger
Reporter irgendjemandem im Ort abgeschwatzt haben musste. Das Foto, das ihn am meisten
getroffen hatte. Fünf lachende Kinder, vier Mädchen im Dirndl und ein Bub in Lederhosen,
so bezaubernd wie die Trapp-Familie. Die Macht der Bilder. Den meisten Menschen
genügte das, was sie zu sehen glaubten. Er musste hinter die Fassaden schauen.
Er stellte
die eine Pfanne auf die heiße Herdplatte, ließ einen Klacks Butter schmelzen und
schaufelte die Tomaten und Champignonhälften hinein. Dann stellte er die zweite
Pfanne auf den Herd, es begann fast augenblicklich nach den Speckwürfeln zu riechen.
Pestallozzi ging zum Kühlschrank und holte eine Dose Bier heraus. Es zischte, als
er die Lasche hochzog, er trank mit tiefen Schlucken. Morgen früh würde
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