Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
die Drehtür. Vielleicht würde sie wenigstens sich selbst freisprechen können, wenn sie Gianluca ein letztes Mal entgegentrat.
Draußen war die Nacht kühl und sternklar. Er stand in einer Nische nahe der Drehtür und rauchte. Wieder bewunderte sie ihn für seine Fähigkeit, mit der Umgebung zu verschmelzen, als würde er dazugehören. Niemand würde ihn für das halten, was er war.
»Komm!«, wiederholte er und ging ihr voran in Richtung Parkhaus, ohne sich umzudrehen. Lauras Anflüge von Rebellion verliefen im Sand, und sie fügte sich in ihr Schicksal. Das Parkhaus war ein offener Betonbau an der Straße. Sie erreichten das dritte Deck über eine Außentreppe. Jetzt, nach Mitternacht, waren die meisten Besucherparkplätze leer. Nur ein roter Polo und ein Passat in Graumetallic standen neben der Ausfahrt. Laura rieb sich die Augen, die im Neonlicht schmerzten, und folgte ihm zu seinem Geländewagen. Sie wusste, dass er korrekt bezahlen würde und den Parkschein bei solchen Gelegenheiten in der hinteren Jeanstasche aufbewahrte. Solange sie ihn kannte, war er nie durch eine Ordnungswidrigkeit aufgefallen. Dazu nahm er seine Aufgaben viel zu ernst. Er war ein fleißiger Schüler gewesen, ein gehorsamer Sohn von Rosaria, deren Briefe Laura ungelesen weggeworfen hatte, ein begabter Koch, ein Mörder, der seine Spuren perfekt verwischte.
»Wohin fahren wir?«, fragte sie.
»Steig ein!« Er öffnete die Tür zum Beifahrersitz.
»Und wenn ich es nicht tue?«
Er schaute sie an, ein Lächeln auf seinen Lippen. »Was meinst du, was dann geschieht?«
Sie zuckte die Schultern. »Dann erschießt du mich hier.«
»Wohl kaum. Ich weiß, dass du mir gehorchen wirst.«
»Woher?«
»Weil du fünfzehn Jahre lang nach unseren Gesetzen gelebt hast und dich ihnen nicht entziehen kannst. Du steckst im System fest.«
»Aber ich habe mich widersetzt«, sagte sie zu schnell.
»Ja, indem du uns verraten hast, dreimal jetzt. Das erste Mal, indem du Giorgio von uns entfernt hast, bis er sich selbst nicht mehr kannte.«
»Und?«
»Heute Nacht. Woher sollte der Bulle sonst wissen, was er zu suchen hat. Vielleicht hat aber auch Leonie es ihm gesteckt.« Ein Schatten zog über seine Augen, wie der Flügel eines dunklen Vogels. Leonie , dachte sie verwundert.
»Und das dritte Mal?«, fragte sie. Wenigstens hatte sie die Organisation aufgemischt und wollte diese Verdienste mit ins Grab nehmen.
»Indem du Alessio zu dem erzogen hast, was er ist.«
Plötzlich erfüllte Laura ein wilder Stolz. In diesem Punkt hatte sie nicht versagt, hatte Alessio einen eigenen Willen antrainiert, ihm Widerstandskraft gegen das Böse eingetrichtert. Wenn er es nur einmal schaffen würde, sich gegen Gianluca aufzulehnen, hatte sich die Mühe gelohnt. Sie setzte einen Fuß auf den untersten Tritt des Geländewagens.
»Glaub ja nicht, dass mir das leicht fällt«, brummte Gianluca. »Du hättest es vorgestern geschickter anstellen können und schmerzloser.«
»Dein Mädchen hat mir das Leben gerettet. Leonie.« Sie schaute ihn prüfend an. Tatsächlich. Er kam fast um vor Schmerz. »Ist sie tot?«, fragte sie. Entweder er hatte es selbst getan, oder er hatte Kain dafür eingesetzt.
»Steig ein!« Seine Stimme hatte etwas von ihrer Unerschütterlichkeit verloren.
»Das würde ich schön bleiben lassen«, sagte eine Stimme auf der Fahrerseite des Porsche Cayenne. Der Mann trat aus dem Schatten und richtete eine Waffe auf Gianluca. Laura registrierte, dass er Italienisch sprach. Er hatte einen dunklen, wirren Haarschopf und war lässig elegant in eine Canvashose und ein rotes Hemd gekleidet, bei dem die drei obersten Knöpfe offenstanden.
»Wer sind Sie?«, fragte Gianluca auf Deutsch. Nichts deutete darauf hin, dass ihm die Situation entglitt.
»Mein Name ist Andrea Girolamo«, sagte der Mann und trat einen Schritt näher. Girolamo? Irgendwo hatte sie diesen Namen schon einmal gehört. Laura griff sich an den Kopf. Natürlich, Massimo und Maria. Auch Gianluca hatte den Zusammenhang inzwischen erkannt und verstanden, dass er in Gefahr schwebte, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. »Stecken Sie die Knarre ein!«, sagte er mit einer Ruhe, für die sie ihn wider Willen bewunderte. »Hinter mir steht ein mächtiger Clan. Ich versichere Ihnen: Die Konsequenzen, die das nach sich ziehen wird, wollen sie nicht tragen.«
Der Blick des Fremden flackerte einen Moment, dann gewann er seine Sicherheit zurück. »Sie haben meine Eltern töten lassen.
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