Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
wieder mit neuen halbseidenen Damen.« Sie schwiegen sich vielsagend an. Im biederen, evangelisch geprägten Esslingen kam ein solches Verhalten gesellschaftlichem Selbstmord gleich.
»Er hat also keinen Wert darauf gelegt, in irgendeiner Hinsicht respektabel zu sein.« Keller stand auf und begann, in einem seiner akribisch aufgeräumten Regale zu kramen. »Weiß man zufällig, womit unser Möchtegernplayboy seine Brötchen verdient hat?«
Fabian zuckte die Schultern. »Er ist wohl Bauunternehmer gewesen. Hat seine Firma verkauft und lebte von dem Erlös.«
»Ein Privatier mit Lust am Sex.« Rena stand auf und schob den Stuhl an den Tisch heran. »Der Kerl wird mir immer unsympathischer.«
»Rena, du könntest dich um seine Firma kümmern«, schlug Keller vor. »Auch wenn der Fall klar zu sein scheint, sollten wir Ölnhausens Lebensumstände überblicken können. Und du Fabian …«
Er nickte resigniert. »Caravaggios Junge ist noch immer verschwunden.«
»Wessen Junge?« Keller horchte auf, und Rena schaute ihn an, als hätte er nicht mehr alle Tassen im Kopf.
»Ach nichts«, sagte er. »Es geht um Alessio, dessen Onkel wahrscheinlich schon unten auf der Matte steht. Alberto Cortese – Import und Export.«
Anders, als er vermutet hatte, verspätete sich sein Zeuge um eine Viertelstunde, die Fabian damit verbrachte, auf die Ringstraße hinauszustarren und an Leonie zu denken. Er hatte schon sein Handy herausgeholt, um sie anzurufen, als die Tür aufging und Rena in Begleitung von Alberto Cortese und seiner Dolmetscherin eintrat. Fabian kehrte in die ermüdende Realität zurück und setzte sich an seinen Schreibtisch. Sein Zeuge war ein schwerer, bärtiger Mann um die fünfzig, der über einem karierten Hemd ein Cordsakko trug. Seine grünbraunen Augen waren undurchdringlich.
»Buon giorno« , sagte Fabian und fuhr den Laptop hoch.
Cortese brummte eine undeutliche Antwort in seinen Bart.
»Guten Tag«, sagte die Dolmetscherin pikiert, eine elegant gekleidete Dame um die sechzig. »Italienisch zu sprechen, dürfen Sie ruhig mir überlassen. Maria Martelli. Ich komme vom interkulturellen Forum und stehe Signor Cortese heute zur Seite.«
»So!« Fabian betrachtete sie von den Pumps über den Tweedrock und die rosa Seidenbluse bis hin zum perfekt geföhnten Bob und war alles andere als begeistert. Auch das noch! So sahen heutzutage also die Vorkämpferinnen für Integration aus. Eine Löwendompteurin in der Garderobe einer Lady, die ihren Klienten mit Zähnen und Klauen verteidigen würde.
Plötzlich war er sich sicher, dass dieses Gespräch eine Quälerei werden würde.
»Herr Cortese.« Provozierend fiel er mit der Tür ins Haus. »Machen Sie sich eigentlich Gedanken um ihren Neffen, der seit einer Woche verschwunden ist?«
Dieser abrupte Beginn schlug keine Bresche in die Abwehrhaltung des Zeugen. Er ließ sich die Frage übersetzen, sagte etwas in bedächtigem Italienisch, und Signora Martelli gab es weiter. Fabian verdrehte die Augen. Dieses Gespräch würde nicht nur unangenehm werden, sondern obendrein zäh.
»Herr Cortese wurde erst vorgestern darüber informiert, dass sein Neffe abgängig ist. Und bevor sie danach fragen: Er weiß nicht, wo er stecken könnte.«
»Wir suchen ihn wegen schwerer Körperverletzung an einem anderen Jungen und wegen eines Raubüberfalls auf eine ältere Dame«, erklärte Fabian. Nach der Übersetzung flammten Corteses Augen plötzlich auf, und er fluchte auf Italienisch.
»Alessio hat die Familienehre besudelt«, sagte die Dolmetscherin. »Für einen Süditaliener ist ein Raub an einer alten Dame ein schlimmes Vergehen.«
Auf die Körperverletzung an dem Jungen ohne Namen war Cortese überhaupt nicht eingegangen. Plötzlich hatte Fabian Mitleid mit Alessio. Ein Säufer als Vater und dazu dieses Pokerface von Onkel. Der Junge war wirklich nicht zu beneiden. Die Frage, warum Alessio lieber ins Heim als zur Familie Cortese gegangen war, stellte er erst gar nicht, sondern erkundigte sich nach dem Geschäft des Italieners.
Nach einer längeren Rede Corteses erklärte die Dolmetscherin: »Er beschäftigt sich mit dem Import von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus Süditalien, vor allem von Tomaten, Salat und Zucchini und im Spätsommer auch von Trauben. Zum Verkauf hat er einen Stand auf dem Stuttgarter Großmarkt, den sein Sohn Mario betreibt. Er lädt Sie ein, doch mal vorbeizukommen und etwas zu probieren. Alles ist von erstklassiger Qualität.«
Fabian nickte
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