Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
Tannen schlich ein Fuchs über den Rasen, der irgendwas im Maul hatte, eine Maus oder einen Vogel. Die Pizza schmeckte wie Schmirgelpapier. Er spülte den trockenen Boden mit einem Liter Cola runter und klebte die Käsefäden wie Kaugummi an die Fensterscheibe.
Früher war das Haus sein Lieblingsplatz gewesen, weil Onkel Alberto so viele Dinge hatte, die Jungs gefielen. Schließlich musste er außer den Zwillingen auch Kain bei Laune halten. Es gab einen Keller mit einer Musikanlage und bunten Discolichtern, einen anderen mit einer Tischtennisplatte und einem Tischkicker. Draußen hatte er ein Fußballfeld mit kleinen Toren anlegen lassen und eigenhändig einen Basketballkorb ans Garagentor gehängt. Seine Cousins und sein Halbbruder hatten die neusten Playstations in ihren Zimmern und spielten die ganze Nacht hindurch Ballerspiele, bei denen das Blut nur so über den Bildschirm spritzte. Im Keller gab es auch ein Schwimmbad und einen Fitnessraum, in dem Kain noch immer täglich trainierte. Mario machte mit seinen stinkenden Crossbikes den Schurwald unsicher und fuhr fast jedes Wochenende zu einem anderen Wettkampf. Brot und Spiele hießen bei Onkel Alberto Pizza und »Counter Strike«. Alessio wandte sich um und verließ den Raum. Als er die Treppe zu seinem Zimmer mit dem nagelneuen Rechner hoch ging, waren seine Füße schwer wie Blei. Er würde sich vor den Computer setzen, »Battlefield« spielen und versuchen, sich dabei selbst zu vergessen. Es war eine gute Übung. Manchmal versank er in den Bildern und wurde zu der willenlosen Killermaschine, die sein Onkel haben wollte.
29.
»Frau Hausmann? Hier spricht Sabine Marian«, sagte die Stimme am Telefon. Den darauf folgenden Redefluss konnte Leonie nicht verstehen, denn Leander saß auf ihrer Hüfte, zog an ihren Haaren und plapperte »Mamamamam«.
»Ruhe!«, raunte sie ihm zu, aber Leander nahm das als Aufforderung, um noch lauter zu krakeelen und sie kräftig an den Haaren zu ziehen. Genervt löste sie einige Haarsträhnen aus seiner kleinen Hand und setzte ihn auf den Boden. Als er beleidigt zu brüllen begann, ging sie ins Treppenhaus und schloss die Tür hinter sich. Das Geschrei steigerte sich zu einem atemberaubenden Crescendo. Leonie rutschte einige Stufen tiefer.
»Puh«, sagte sie und versuchte die Nester aus ihren Haaren zu streichen, während sie mit der anderen Hand das Handy ans Ohr hielt.
»Ich weiß noch gut, wie das ist«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. »Meine Jungs sind inzwischen sieben und neun, aber telefonieren lassen sie mich immer noch nicht.« Von Wort zu Wort wurde die Chefredakteurin Leonie sympathischer, auch wenn ihr bei der Vorstellung graute, dass der Telefonterror noch acht bis zehn Jahre weitergehen würde.
»Leander ist noch klein. Noch nicht einmal ein Jahr alt.« Sie setzte sich auf den mittleren Treppenabsatz und stellte ihre nackten Füße auf die Stufe darunter. Es war fast Mittag. In der Küche hörte sie Emine mit den Töpfen klappern, aber sie selbst hatte es noch nicht einmal geschafft zu duschen.
»Es kommt sicher sehr plötzlich für Sie«, sagte Marian. »Aber ich fand ihre Bewerbung so ansprechend, dass ich Sie fragen wollte, ob Sie schon heute Nachmittag zu einem Vorstellungsgespräch erscheinen könnten. Sagen wir um vierzehn Uhr?«
Leonie schnappte nach Luft. So schnell hatte sie nicht mit einer Antwort vom Schwabenspiegel gerechnet. Gestern war fast der ganze Tag dabei draufgegangen, die Bewerbung zu schreiben und ihre Arbeitsproben aus der Zeit des Studiums aufzupolieren und einzuscannen. Erst am späten Abend hatte sie ihre Unterlagen per Mail abgeschickt. »Natürlich«, sagte sie und fühlte sich plötzlich wie im freien Fall. Aber warum sollte sie nicht gerade jetzt, wo es in ihrem Leben sowieso drunter und drüber ging, etwas ganz Neues wagen?
»Vierzehn Uhr kann ich schaffen.«
»Wunderbar«, sagte Marian. »Dann treffen wir uns um diese Uhrzeit in der Reinsburgstraße im Hinterhaus.«
Um kurz vor zwei quetschte Leonie den Volvo in eine winzig kleine Parklücke für Anwohner, drückte die Knöpfe an den Türen und stieg aus. Die Straßenschlucht war so eng, dass sie zwischen den Häuserzeilen einen Moment lang keine Luft bekam. Sie atmete tief durch, putzte die feuchten Hände an ihrer Jeans ab, öffnete den obersten Knopf ihrer blauen Bluse und machte sich Mut. Schließlich war das schon das zweite Vorstellungsgespräch innerhalb von zwei Tagen. Entschlossen packte sie die
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