Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
geschadet. Nirgendwo werden sie so konfliktfähig. Eine unschätzbare Fähigkeit.«
Leonie atmete tief ein und aus. Noch hatte sie keinen Krippenplatz, aber das würde sie der Chefredakteurin nicht auf die Nase binden.
»Nichts für ungut«, sagte Marian. »Ich war von Ihren Bewerbungsunterlagen sehr angetan. Sie sind genau das, was ich mir wünsche, denn meine vorherige Redakteurin für den Kulturbereich hat mich von einem Tag auf den anderen sitzengelassen. Sie war Kunsthistorikerin und Germanistin wie Sie und hat alle Theater, Museen und Galerien abgedeckt. Schließlich besteht ein Teil unserer Arbeit auch darin, dass wir das Stuttgarter Kulturprogramm checken und danach mit unseren Kritiken beurteilen.«
Uff, dachte Leonie. Aber Marian hob beschwichtigend die Hände. »Nein, nein, Sie müssen nicht jeden Abend zwei Theater und drei Galerien abklappern. Die wenigsten Kritiken werden Sie selbst schreiben. Ein Großteil Ihrer Arbeit wird darin bestehen, dass Sie die Texte der Heerscharen freier Mitarbeiter, die für uns arbeiten, redigieren. Trauen Sie sich das zu?«
Sie schluckte, nahm die Herausforderung aber an. »Natürlich!«
»Und was das Erfreuliche daran ist: Sie können es zu Hause machen und die fertigen Artikel online ins System einspielen. Dabei sind Sie zeitlich flexibel, denn der Schwabenspiegel erscheint ja nur einmal in der Woche.«
Eine Welle der Freude floss über Leonie hinweg. »Wirklich?«
»Ja. Sie sind meine einzige feste Kraft, wenn man mal von Eberhard absieht, der im Herbst zu studieren beginnt. Ich zahle Ihnen eine Pauschale für die Redaktionsarbeit, und wenn Sie Termine machen, erhalten Sie dasselbe Zeilenhonorar wie meine Freien. Es lehnt sich an die Vergütungsregeln an, die Verleger und Gewerkschaft im Frühjahr letzten Jahres vereinbart haben. Je nachdem, wie viel Sie machen, haben Sie so mindestens zwölfhundert Euro netto auf der Hand.«
Die Freude blieb und setzte sich als Wärmequelle in Leonies Bauchraum fest. Endlich würde sie ihrem Vater nicht mehr auf der Tasche liegen. »Gut«, sagte sie zufrieden.
»Sie haben in Tübingen studiert?«
Leonie bejahte.
»Meine vorherige Redakteurin kam aus Heidelberg. An Geisteswissenschaftlern schätze ich, dass sie gelernt haben, aus dem mündlichen Redefluss eines Gegenübers das Wichtige zu extrahieren und alles Überflüssige wegzulassen. Schließlich müssen sie in Vorlesungen ja nichts anderes tun.«
Leonie zuckte die Schultern. »Wenn Sie so wollen, ja.«
»Und Ihre Arbeitsproben haben mir auch gefallen. Sie haben einen ungeschminkten Stil und kommen schnell auf den Punkt.«
»Tatsächlich?« Ein so dickes Lob hatte Leonie seit der Grundschule nicht mehr kassiert. Ihre Freude am kreativen Schreiben hatte sich in den langatmigen Textanalysen, die sie im Fach Germanistik abzuliefern hatte, erheblich abgekühlt.
»Ich schlage Ihnen vor, dass wir es miteinander versuchen«, sagte Marian selbstbewusst. »Sagen wir drei Monate, und dann reden wir erneut.«
Sie stand auf und reichte ihr über den Tisch hinweg die Hand. »Abgemacht?«
»Abgemacht!«, sagte Leonie und schlug ohne zu zögern ein.
»Wird der Schwabenspiegel eigentlich hier im Haus gedruckt?«, fragte sie. Sabine Marian lachte leise. »O nein. Herr Maulschön ist zwar sehr nett, aber auf seinem alten Tiegel geht das leider nicht. Das Magazin läuft in Möhringen im Zeitungshaus mit diversen anderen Stuttgarter Blättern über die Rollenrotation. Dort sitzt auch die Anzeigenabteilung.«
Leonie griff nach ihrer Tasche und stand auf. Marian begleitete sie bis zur Tür, die in dem Moment aufsprang, als sie davor standen. Ein Mann mit Dreitagebart stürmte mit Stechschritt in die Redaktion und rannte quasi in sie hinein.
»Sorry!«, sagte er, griff nach Leonies Schultern und hielt sie auf Armlänge von sich. »Hallo«, gab sie zurück. Der Fremde ließ sie mit einem Ruck los und ließ ein weißes Raubtierlächeln sehen. »Ramón Gonzales, freier Fotograf. Ich arbeite hin und wieder für Sabine.« Er sah so aus, als sei er gerade frisch vom Auslandeinsatz in Afghanistan oder im Irak zurückgekehrt. Leonie schnupperte. Er roch auch so.
»Ramón!«, rief Marian. »Darf ich vorstellen. Leonie Hausmann, meine neue Redakteurin.«
Er zog seine schwarzen Augenbrauen zusammen und nahm sie unter die Lupe. »Ob sie tough genug ist für den Job?«, murmelte er. Ärgerlich spürte Leonie, wie sie bis unter die Haarwurzeln errötete. Aber Gonzales wandte seine Aufmerksamkeit
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