Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
Tasche, die nach dem Gewitterguss wieder einigermaßen getrocknet war, überquerte die Straße und betrat einen engen Hinterhof. »Druckerei Maulschön«, stand an der Klingel im Erdgeschoss des Hinterhauses, und Leonie hörte eine Druckmaschine rattern. Als sie durch das fast blinde Fenster spähte, sah sie daneben ein uraltes Männchen stehen. Das war ja praktisch. Oben wurde der Schwabenspiegel geschrieben und unten gleich in Druck gegeben. Der alte Herr schlurfte aus der Tür und schob sich die Schirmmütze in den Nacken.
»Suchet Sie ebbes?« Er hob die Stimme, um gegen das Geratter anzukommen.
»Ähh, nein. Ich will zu Frau Marian. Schwabenspiegel.«
»Da müsset Se obe klingle«, sagte er, hob seine Hand noch einmal grüßend an den Schirm und ging wieder hinein.
Leonie stellte fest, dass die Tür sich ohne weiteres aufdrücken ließ und stieg die Treppe bis zum dritten Stock hinauf. Mit nervösen Fingern nestelte sie ein Traubenzuckerbonbon aus der Tasche und steckte es in den Mund. Die Tür zur Redaktion des Schwabenspiegels war verschlossen. Leonie klingelte und wartete. Als sie endlich aufging, stand ein pickliger Junge um die zwanzig vor ihr, über dessen dicker Hornbrille sich ein Wust dunkler Haare sträubte. »Ich bin Leonie Hausmann«, sagte sie.
»Eberhard.« Er drückte ihre Hand. »Ich bin der Praktikant. Kaffeekochen, Kopieren und Redakteurinnen flachlegen, du verstehst schon. Auf dem Kopierer.«
Sie starrte ihn entgeistert an.
»War ein Scherz«, sagte er. »Ich schreibe auch schon hin und wieder was.«
Er ging ihr voran durch den Flur, und seine Jeans hing so tief, dass Leonie unter dem Bündchen seine blauklarierten Boxershorts erkennen konnte. In der Tür hinten rechts stand eine Frau mit blonden, schulterlangen Haaren. »Schreiben muss er auch. Wir haben hier nämlich chronischen Personalmangel.« Sie musste um die vierzig sein, trug High Heels und eine weiße Bluse. »Ich bin Sabine Marian.«
»Leonie Hausmann.« Sie drückte eine feste, entschlossene Hand.
»Immer hereinspaziert!«
Sie schob sich in das chaotische Büro der Chefredakteurin und setzte sich auf den Schwingstuhl an der anderen Seite des Schreibtischs. Durch das dreigeteilte Erkerfenster schaute man auf die Ziegelwand des Vorderhauses, an der graugrüner Efeu emporrankte. Der Himmel darüber hatte sich bleigrau zugezogen. Irgendwo donnerte es leise. Zeitungen, Zeitschriften und Schreibblocks lagen in halsbrecherischen Stapeln auf dem Tisch herum und verdeckten beinahe die Sicht auf den Bildschirm. Auf der Spitze eines wackeligen Bücherstapels kam Langenscheidts Wörterbuch Italienisch gerade ins Rutschen.
»Hoppla«, sagte Leonie und fing das gelbe Ungetüm auf. Der Rest krachte zu Boden. »Lassen Sie es einfach liegen!« Sabine Marian betrat das Zimmer mit einem Tablett in der Hand und schob die Tür mit dem Fuß ins Schloss. »Entschuldigen Sie die Unordnung! Ich habe gerade sehr viel zu tun. Kaffee?«
»Ein Wasser bitte!«
Die Chefredakteurin goss Mineralwasser in zwei dickwandige Gläser. Leonie trank einen großen Schluck. Sabine Marian setzte sich in den Stuhl gegenüber und betrachtete sie mit Röntgenblick. Einen Moment lang erinnerte sie die Journalistin an Camilla, die ihr genauso unerbittlich erschienen war.
»Und – konnten Sie Ihren kleinen Sohn unterbringen?«
»Mein Bruder hütet ihn.« Sebastian war nicht gerade begeistert gewesen, als sie ihm neben der Hundeleine auch noch den Buggy in die Hand gedrückt hatte.
»Haben Sie eine regelmäßige Betreuung?« Während der forschende Blick weiter auf Leonie ruhte, klopfte Sabine Marian eine Kippe aus ihrer Zigarettenschachtel. »Stört es Sie, wenn ich rauche?«
Leonie schüttelte den Kopf. Die Chefredakteurin ließ ihr Feuerzeug aufflammen und inhalierte tief.
»Sie dürfen mir gerne antworten!«, sagte sie sanft, und Leonie nahm sich zusammen.
»Es ist alles sehr schnell gegangen«, sagte sie zögernd. »Ich weiß erst seit vorgestern von Ihrem Stellenangebot, aber ich kann das alles organisieren.«
»Und wie? Etwas zeitliche Flexibilität sollten Sie schon mitbringen.«
Jetzt wurde es Leonie zu bunt. »Wenn ich nicht wüsste, wo ich Leander unterbringen kann, würde ich mich wohl kaum bewerben«, entgegnete sie.
»Gut.« Die Chefredakteurin nickte zufrieden. »Ich frage nur, weil ich das alles kenne. Ich erziehe Leon und Roman auch allein und weiß noch, was es mich gekostet hat, sie im Kinderladen anzumelden. Aber es hat ihnen nicht
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