Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
niemand etwas Genaues.
»Sie kannten die beiden?«, vermutete Leonie, und Marian nickte. »Ich habe hin und wieder bei ihnen Pizza bestellt. Als alleinerziehende Mutter von zwei Jungs fühlt man sich manchmal, als hätte man eine ganze Fußballmannschaft abzufüttern.«
Der Fotograf drückte seine Zigarette im Aschenbecher auf dem Tisch aus. »Aus Mordermittlungen solltest du dich heraushalten, Marian!«, sagte er. »Das ist zu heiß für dich. Du kannst dich freuen, dass die Drohung nur ein simples Graffiti an der Wand und eine Schippe Zement im Hausflur ist. Es hätte auch eine Kugel im Kopf sein können. Puff.« Er hielt sich die Faust mit zwei abgewinkelten Fingern an die Schläfe und tat so, als würde er abdrücken. Leonie zuckte zusammen.
Marian lächelte müde. »Ich weiß wirklich nicht, was ich machen soll.«
»Du bist nicht Robin Hood«, sagte Eberhard. »Und ich kein Held in Strumpfhosen.«
»Ihr steckt nicht mit drin.« Marian hob beschwichtigend die Hände. »Wenn überhaupt, dann steht mein Name auf der Todesliste. Vor drei Jahren kam der große Knaller. Ich kannte Massimo und Maria nur beiläufig aus der Pizzeria. Doch dann hat Massimo mich im Büro besucht, ganz feierlich im schwarzen Anzug, der aussah, als würde er ihn sonst nur zu Beerdigungen tragen. Und er klärte mich auf, dass die ’Ndrangheta hier in Stuttgart in den Kreisen der Auslandsitaliener Blankowahlzettel verteilt hätte. Wer einen gewissen Rechtsanwalt in den römischen Senat wählte, der konnte mit einer Prämie rechnen.«
»Wie dreist!«, sagte Leonie.
»Das war offener Wahlbetrug unter den Augen der deutschen Öffentlichkeit«, stimmte ihr Marian zu. »Ich habe den Skandal in den nächsten Schwabenspiegel gebracht. Das Ganze ist übrigens heute kein Geheimnis mehr. Man kann sogar die polizeilichen Abhörprotokolle im Internet nachlesen.«
»Die ’Ndrangheta – die kommen aus Kalabrien, nicht?«, tastete sich Leonie vor. »Die sollen harmloser sein als die Cosa Nostra in Sizilien und die Neapolitaner. Wie heißen sie gleich?«
»Camorra!«, Eberhard schlug sich vor Lachen auf die Schenkel und begann, mit seinem Stuhl nach hinten zu kippeln. »Sie ist doch ein Häschen!«
»Eberhard ohne Bart«, sagte Leonie nachdenklich. Kippenden Stühlen konnte man ganz schnell einen Schubs geben und den darauf sitzenden Scheißkerl mit dem Kopf auf den Boden knallen lassen …
»Dass ihr Ursprung in Kalabrien liegt, stimmt, aber mit der Harmlosigkeit täuschst du dich«, sagte Ramón. »Die ’Ndrangheta setzt im Jahr rund 44 Milliarden Euro um. Kokainhandel, Waffenschiebereien, Geldwäsche, Erpressungen. Sie sind überall ganz vorne mit dabei. Sehr gerne operieren sie von Deutschland aus, weil die deutsche Justiz ihnen gegenüber auf beiden Augen blind ist.«
Fast hätte sich Leonie an ihrem Kaffee verschluckt. »Aber in unserem biederen Stuttgart? Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Das habe ich auch mal gedacht«, sagte Marian. »Und das ist auch heute noch die offizielle Position. Der Polizeisprecher leugnete 2008 strikt ab, dass die ’Ndrangheta in Baden-Württemberg in nennenswerter Weise aktiv ist.«
»Wenn sie im Ruhrgebiet Aktionen machen, warum sollten sie dann unser Bundesland auslassen?« Plötzlich standen die Duisburger Mafiamorde klar vor Leonies Augen. »Und es gibt Killer unter ihnen?«, fragte sie. »So wie diesen Giovanni Strangio, der in Duisburg im Verlauf einer Familienfehde sechs Menschen erschossen hat?«
Marian schaute sie fest mit ihren blauen Augen an. »Die Worte Familienfehde oder gar Blutrache greifen bei den Duisburger Morden zu kurz«, sagte sie. »Es handelt sich wohl eher um einen Machtkampf zwischen den Familien Nirta-Strangio und Pelle-Romeo aus dem Verbrechernest San Luca. Und was Ihre erste Frage angeht: Natürlich gibt es Killer unter ihnen. Einen von ihnen kenne ich mit Namen.«
Der Kaffee schmeckte plötzlich schal. »Wie lautet der?«
»Kain«, sagte Marian.
»Wie der Bruder von Abel«, warf der Praktikant überflüssigerweise ein.
Leonie schüttelte den Kopf. »Das ist kein sehr gebräuchlicher Vorname in Italien.«
Marian sprach weiter. »Er soll im Kreis Esslingen leben. Nach Massimos und Marias Tod hat mich eine Frau anonym angerufen und mir den Namen verraten. Sie hat gesagt, dass sie damit ihr Leben riskiert. Aber einen jungen Mann mit diesem Namen konnte ich bisher nicht auftreiben.«
»Und geschrieben hast du auch noch nichts.« Der Fotograf stellte seine Tasse auf
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