Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
T-Shirt und ihrer Jeans einigermaßen normal aus und war von Leander komplett hingerissen.
»Darf ich ihn mal aus dem Buggy holen?«, fragte sie.
Als er achselzuckend nickte, hob sie ihn heraus, setzte ihn auf ihren Schoß und ließ ihn rauf und runter fliegen.
»Der ist ja total süß«, sagte sie und vergrub ihre Hände in seinen schwarzen Locken.
»Ganz der Onkel halt«, sagte Sebastian lässig. Bisher hatte er im Kreis seiner Freunde ungern zugegeben, dass seine Schwester ihm hin und wieder diesen unmännlichen Job aufdrückte. Aber wenn er gewusst hätte, dass Babys bei den Mädels solche Türöffner waren, hätte er sich Leander schon öfter ausgeliehen.
»So eins hätte ich auch gern.« Auf den blassen Wangen lag ein rosa Schimmer.
»Ach was, ich dachte, du wolltest sterben.« Sebastian biss sich auf die Zunge. Das war ihm schneller rausgerutscht, als er es festhalten konnte. Sie antwortete nicht, sondern stellte Leander auf den Boden, fasste ihn an den Handgelenken und ließ sich von ihm mitziehen.
Sebastian folgte ihnen auf die kleine Aussichtsplattform, von der aus man bis auf die andere Seite des Neckartals sehen konnte. Nur jetzt nicht, weil der Regen sich mit grauen Wassersäulen dazwischengeschoben hatte.
»Ich kann wieder tanzen«, sagte sie beiläufig.
»Was?«, fragte er.
»Ist ganz neu. Die Ärzte sagen, ich könne mein Training vorsichtig wieder beginnen. Aber ich weiß nicht, ob ich wirklich noch Ballerina werden will.«
»Aber natürlich willst du das. Aber vielleicht solltest du davor noch das eine oder andere Butterbrot essen.«
»Ach, sei doch still!«, zischte sie.
Der Regen tropfte jetzt stärker von den Bäumen, platschte geräuschvoll auf den Boden, sprang in den Pfützen hoch und saugte alle Farben in sich auf.
»Wir sollten gehen.«
»Könnet ihr des Mäxle nehme?«, rief ihnen Frau Deringer vom oberen Weg aus zu. »I gang nei.« Der Mops zog an seiner Leine und wollte zu Sebastian.
»Na klar«, rief er und fand sich plötzlich echt gefragt.
»Leander muss auch rein.« Er schnappte sich den Kleinen und packte ihn in den Buggy. Wo war nur der Plastiküberzug, den Leonie immer im Netz hatte? Mist! Diesmal musste er auf der Kommode liegen geblieben sein. Gemeinsam trugen Sebastian und Flavia den Wagen die Treppe hoch zum Hauptweg, auf den der Regen inzwischen mit voller Wucht niederprasselte.
»Kann ich mitkommen? Ich könnte mir mal dein Zimmer ansehen«, fragte sie und sah vor Nässe aus wie eine verfrorene Katze. Das Wasser tropfte sogar von ihrer Nasenspitze.
»Musst du denn nicht hierbleiben?«
»Unsinn«, sagte sie. »Das hier ist doch kein Kinderknast. Und für heute sind alle Therapien vorbei.« Sie setzten den Buggy ab und schoben ihn durch die Pfützen zu Frau Deringer.
»Meinetwegen«, sagte Sebastian und nahm außer der Hundeleine auch den versprochenen Zwanziger in Empfang.
»Und sag deiner Schweschter vielen Dank, dass sie mei Mäxle hütet, und dass er so schee abgnomme hätt!«
»Das kommt vom vielen Treppensteigen.« Er schaute Frau Deringer nach, die eilig über den nassen Rasen in Richtung der Klinikcafeteria davonging. Wie stark der Mops seine Snickersvorräte dezimiert hatte, erzählte er ihr lieber nicht. Und dass er die Verpackung mit Vorliebe mitfraß.
»Mach lieber etwas schneller!«, drängte Flavia und griff nach der Hundeleine. »Sonst wird dein Neffe noch krank.«
Was würde seine Familie wohl dazu sagen, dass er zum ersten Mal ein Mädchen heimbrächte und noch dazu dieses Mädchen? Aber vielleicht war ja Leonie noch gar nicht wieder da. Und sein Vater hatte sich schon heute Morgen in sein Arbeitszimmer zurückgezogen und schrieb an seiner Publikation über Hochgebirgspflanzen im Himalaja. Die Chancen, dass sie außer Emine niemandem begegnen würden, standen eigentlich ziemlich gut.
Als Sebastian mit den Keksen, die er aus dem Keller geholt hatte, in die Küche trat, saßen die Frauen einträchtig über dem Lokalteil der Eßlinger Zeitung, während Leander mit dem Löffel in einem Obstgläschen herumfuhrwerkte und den Brei auf seinem Hochstuhl verteilte. Er ließ die Kekse in eine angeschlagene Steingutschüssel gleiten, nahm dem protestierenden Kind den Löffel weg und begann, es zu füttern.
»Sebastian, stell dir vor … Flavia kennt den Ölnhausen.« Emine klang beeindruckt.
»Echt?«
Der Mord am Hölderlinweg war die Schlagzeile des heutigen Mittwochs gewesen. Sebastian hatte nach der Schule kurz in die Berichte
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