Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
den Tisch und goss Kaffee nach.
»Ja«, gab Marian zu. »Massimo ist nicht mehr dazu gekommen, mir seine Neuigkeiten zu verraten. Und so habe ich mich bisher nur nach den Restaurantkontakten unseres vorletzten Ministerpräsidenten erkundigt, bei denen er mit ziemlicher Sicherheit Personen aus Mafiakreisen begegnet ist. Aber alles in allem bin ich diesmal noch niemandem ernsthaft auf den Schlips getreten … Und so wie es aussieht, traue ich mich auch nicht mehr, es zu tun.«
»Und die Frau?«, fragte Leonie leise.
»Keine Ahnung, wer das gewesen sein könnte. Aber wenn sie als Informantin aufgeflogen wäre, hätte man sie schon als Wasserleiche aus dem Neckar gezogen.«
»Ich muss langsam nach Hause und meinen Bruder ablösen«, sagte Leonie und erhob sich. Eberhard machte sich über die letzte süße Hefeschnecke aus der Tüte her, und der Fotograf checkte gerade eine SMS auf seinem Handy. Marian stand auf.
»Warten Sie, ich bringe Sie noch hinaus.«
Zu zweit traten sie in den Flur. Die Chefredakteurin lief bis zum rückwärtigen Fenster, öffnete es und ließ regenschwere Luft herein, die ausnahmsweise nicht nach den Abgasen der Stuttgarter Kessellage roch.
»Tja, jetzt müssen Sie überlegen, ob Sie sich für oder gegen die Arbeit mit mir entscheiden«, sagte sie.
»Da gibt es nichts mehr zu überlegen.« Die Mafiasache war ein bisschen beängstigend, aber auch interessant.
»Wissen Sie was? Ich habe ja lange in Italien gelebt. Ich lasse meine Connections spielen und informiere mich zunächst einmal über diese kalabrische Mafia. Dann können wir die Dinge besser einschätzen.«
»Gut, dann werden Sie spätestens übermorgen von mir hören. Warten Sie, ich begleite sie noch nach unten.«
Für einen Moment blieben sie vor der Wand im Flur stehen, auf der die verblassten Buchstaben des Graffitis unwirklich leuchteten.
»Komisch!«, sagte Marian nachdenklich. »Wenn man nichts von ihnen weiß, ist es beinahe, als hätte es sie nie gegeben.«
Auf der B 10 in Richtung Esslingen standen die Autos Stoßstange an Stoßstange. Leonie reihte sich nach dem Tunnel im Stuttgarter Osten in den Feierabendstau ein. Immerhin hatte sie einen Job ergattert, den sie bei freier Zeiteinteilung von zu Hause aus machen konnte. Während sich die Autoschlange im Zeitlupentempo vorwärtsbewegte, durchforstete sie ihr Gedächtnis nach Menschen, die ihr helfen konnten, sich über die Mafia zu informieren. Natürlich hatte sie jede Menge italienische Bekannte, die sie per Mail um Unterstützung bitten konnte. Aber eigentlich saß der vielversprechendste Kontaktmann gerade in Stuttgart. Damiano war als strikter Gegner Berlusconis politisch interessiert und wusste über verschiedene Verwicklungen der Mafia in offizielle Kreise Bescheid. Und er war Sizilianer und von daher ein gebranntes Kind. Ganz vorsichtig würde sie in dieser Sache mal nachhaken. Aber heute nicht mehr, dachte sie müde und zuckte zusammen, als der Mercedes hinter ihr hupte, weil sie eine Dreimeterlücke nicht genutzt hatte. In Stuttgart-Wangen lenkte der Fahrer seinen Schlitten auf den Abbiegestreifen, überholte rechts und zeigte ihr einen Vogel.
Nur nicht aus der Ruhe bringen lassen! , dachte sie, bog in Oberesslingen von der B 10 ab und parkte den Volvo schließlich vor dem Haus ihres Vaters. Beschwingt öffnete sie mit ihrem Schlüssel die Eingangstür. Der Mops lag auf den Fliesen im Hausflur.
»Hey, Max«, sagte sie und zauste ihm die Ohren.
Gerade hatte sie einen Schuh abgestreift, als sie überrascht innehielt. Was war das? Aus der Küche kamen Stimmen. Zögernd drückte sie auf die Klinke, öffnete und lugte verstohlen hinein. Oh nein! Am Tisch saßen ihr Vater, Sybille und Sebastian. Emine stellte gerade eine Kanne Tee auf die Platte, wo ein riesiger gelber Rosenstrauß beinahe die Sicht auf die Bank verdeckte. Aber nur fast. Zwischen Blüten und Stängeln erkannte Leonie die Baumelfe aus dem Klinikgarten und neben ihr Damiano, der einen über beide Backen strahlenden Leander auf dem Schoß hielt und dabei unverdient glücklich aussah.
Leise ließ sie die Tür wieder ins Schloss gleiten und lehnte sich mit klopfendem Herzen an die Wand. Wie konnte das sein? Hatte Damiano sich durch ihre Gedanken manifestiert? Oder hatte er ihr Angebot einfach wörtlich genommen? Einen Moment lang überlegte sie, einfach mit Leander nach oben zu rennen und die Tür hinter sich abzuschließen. Allerdings: Das Ganze hatte, wenn man es bei Licht betrachtete, auch
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