Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
hineingelesen und sie dann wieder zur Seite gelegt. Die Lebensgefährtin war schon so gut wie überführt, alles schien ziemlich klar zu sein. »Esslinger Millionär ermordet«, stand dick und fett über den beiden Artikeln und dem Kommentar, die die ganze erste Seite des Lokalteils einnahmen. Das erste Foto zeigte ein rotweißes Absperrband um einen Swimmingpool und davor ausgerechnet Fabian Grundmann, der mit seinen weißen Handschuhen aussah wie ein Zauberkünstler. Foto zwei war das Passbild einer blonden Frau, der Tatverdächtigen Milena Donakova. Im Kommentar wurde die Frage gestellt, welches ihr Motiv gewesen sein könnte.
»Und du kennst den wirklich? Woher?«
»Ich hab mal dort getanzt«, erklärte Flavia. »In seinem schicken Bunker.« Die rosigen Flecken auf ihren Wangenknochen hatten sich vertieft. Nervös nippte sie an ihrem Kakao und schob ihn dann zur Seite. »Habt ihr mir ein Wasser? Der Kakao ist ja scheußlich süß.« Sebastian sprang auf, holte eine Flasche aus dem Kühlschrank und goss Flavia ein großes Glas ein. »Wir waren bei einer privaten Feier, einige Ballettschüler aus der Cranko-Schule, die Szenen aus dem Repertoire des Bolschoi-Theaters vorführen sollten. Er hatte sein Wohnzimmer für uns ausgeräumt, und ich habe auf Spitze ein Solo aus ›Dornröschen‹ getanzt und später zusammen mit Sergej noch einen Pas de deux, du weißt schon, nach der Choreographie von Petipas. Und schließlich noch zu viert den ›Tanz der jungen Schwäne‹ aus ›Schwanensee‹. Die Gäste waren begeistert und haben uns danach zu Wodka und Kaviar eingeladen. Es waren vorwiegend Russen und Italiener. Irgendwann tanzten die Russen auf dem Tisch. Ölnhausen lief die ganze Zeit so aufgeschreckt hin und her, als wäre das gar nicht seine Feier. Das Ganze muss ein Schweinegeld gekostet haben.«
»Ich glaube, das solltest du Fabian erzählen«, sagte er leise. »Leonies neuem Verehrer. Er ist Polizist. Der da!« Er deutete auf das Zeitungsfoto.
»Etwas düster, aber gut aussehend«, sagte Flavia, und Sebastian nickte widerstrebend. »Ruf ihn doch schon mal an!« Emine stand auf. »Ich habe das Telefon neben dem Bügelbrett liegen gelassen! Ich hol’s schnell.«
Als Emine die Küche verlassen hatte, lächelten sie sich versuchsweise zu. Flavia trank einen Schluck Mineralwasser, zerkrümelte einen Keks, steckte die winzigen Stückchen in den Mund und spülte sie mit genauso winzigen Schlucken Wasser herunter. Das war nicht allzu viel, aber immerhin, sie aß. Leander hatte inzwischen schon sein ganzes Obstglas verputzt und drehte in aller Ruhe seinen Teebecher auf den Kopf. In diesem Moment gellte die Klingel durchs Haus.
»Nanu«, sagte Sebastian. Soweit er wusste, erwarteten sie niemanden. Seine Schwestern hatten beide einen Schlüssel, die Post war schon dagewesen, und seine eigenen Freunde kündigten sich vorher per SMS oder Facebook an. Ziemlich verwirrt öffnete Sebastian die Tür und steckte im nächsten Moment mit der Nase in einem riesigen, gelben Rosenstrauß. Dahinter stand ein Mann mittleren Alters, aus dessen grauen Locken es unaufhörlich auf sein hellgelbes Poloshirt tropfte. In seiner linken Hand hielt er einen der sündhaft teuren Plüschbären mit Knopf im Ohr, die ihre Besitzer gewöhnlich überlebten.
»Sie wünschen?«, fragte Sebastian reserviert.
»Mein Name ist Damiano di Luca«, sagte der Fremde mit einem Akzent, der so elegant war wie seine ganze Aufmachung. »Ich bin Leandros Vater und würde ihn und Leonie gerne besuchen.«
31.
»Es geht um den Mord an Massimo Girolamo und seiner Frau Maria«, sagte Sabine Marian. Ramón Gonzales kramte eine Packung blaue Gauloises aus seiner Jackentasche, zündete sich eine an und sog den Rauch tief in seine Lungenspitzen. Auf dem Tisch der Redaktionsküche lag eine Tüte mit süßen Teilchen, für die der Praktikant extra in den Regen hinausgelaufen war.
»Und es geht mir nahe, nicht nur, weil man mich bedroht, sondern auch, weil es so furchtbar ist. Überlegen Sie sich also gut, ob Sie für uns arbeiten wollen!«
Im Mai hatte der Mord an den beiden italienischen Pizzeriabesitzern tagelang die Schlagzeilen bestimmt. Leonie war erschüttert gewesen, nicht nur über die Fotos der beiden alten Leute, die so unbescholten ausgesehen hatten, sondern auch darüber, dass die Polizei nicht in der Lage gewesen war, auch nur eine einzige brauchbare Spur auszuwerten. Man vermutete das Motiv im Milieu der Schutzgelderpressung. Aber noch immer wusste
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