Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
das mit der Rückseite nach oben lose daneben lag. Laura Cortese war sehr hübsch und überraschend jung. Sie hatte ihrem Sohn ihre wilden Locken vererbt.
»Geh nach Hause!«, sagte Keller plötzlich. »Oder kauf in der Stadt was ein. Turnschuhe oder so. Und dann zieh sie dir an und lauf zwanzig Kilometer, oder fünfzig, damit du den Kopf freikriegst. Ich mach das hier alleine.«
»Was?« Fabian schaute Keller an, als sei er komplett verrückt geworden.
»Manchmal muss man auf andere Gedanken kommen. Abstand kriegen.« Verbissen wandte sich der Alte wieder seinen Unterlagen zu.
Fabian stand auf und ging zum Fenster. Es war ein schöner, windiger Tag. Draußen drängten sich die Flaneure auf der Brücke. Wenn er an diesem Wochenende etwas auf dem Tisch haben wollte, sollte er kurz über den Markt gehen. »Bis später«, sagte er, schnappte sich seine Jacke und ging.
43.
Todesmutig trabte der Mops neben Leonies Fahrrad über die Urbanstraße. Er brauchte Bewegung, hatte der Tierarzt Paps geraten. Bis auf eine leichte Herzschwäche sei er nämlich kerngesund, und die würde sich auch geben, wenn sie es schafften, ihn abspecken zu lassen.
Zuerst hatte der Mops es locker mit Leonies moderater Fahrweise aufgenommen, doch in der Altstadt hechelte er bedenklich. Er würde ihnen wohl doch nicht an einem Herzinfarkt verscheiden, ehe sie ihn zurückgeben konnten? Leonie stieg ab, schob ihr Rad übers Kopfsteinpflaster und führte ihn langsam an der Leine. Am Brunnen machte sie eine Pause und ließ ihn trinken.
Frau Deringer plante, am Montag für vier Wochen in Kur zu gehen und hatte freundlich nachgefragt, ob sie Max so lange bei Familie Hausmann parken konnte. Leonie gefiel die Idee, denn er hatte sich nachts als große Stütze erwiesen. Immer, wenn Leander nach Mitternacht aufgewacht war und putzmunter mit ihr eine Runde spielen wollte, hatte der Mops ihn so lange bewacht und beschäftigt, bis er mit der Hand in einer speckigen Nackenfalte wieder eingeschlafen war. Sie selbst hatte seelenruhig weitergeschlafen und fühlte sich schon viel erholter.
Langsam schob sie das Fahrrad übers Kopfsteinpflaster. Es dauerte eine Weile, bis sie den Wochenmarkt erreichte, über dem die Türme von St. Dionys wie mittelalterliche Wolkenkratzer aufragten. Leonie schloss das Rad an eine der Bänke an und stürzte sich ins samstägliche Getümmel. Es war nach elf. Auf dem Markt herrschte Hochbetrieb, und die Esslinger widmeten sich nicht nur ihren Einkäufen, sondern auch ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen. Zuerst besorgte man Kartoffeln und Salat, dann bewunderte man gebührend das neue Kleid der Nachbarin, und schließlich folgte das Gläschen Rosé im Innenhof der Sektkellerei Kessler. Sie kaufte bei einem Mettinger Gemüsebauern Zwiebeln, Kartoffeln, Erdbeeren und Salat ein und stellte sich dann vor den Stand des Ziegenhofs Domäne Weil.
»Hallo«, sagte jemand hinter ihr. Die Stimme war tief und samtig. Sie drehte sich um, und eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken. Fabian. Er schaute sie lächelnd an, bückte sich und kraulte dem Mops die Ohren. Max versuchte entzückt, seine dünnen Vorderbeine auf Fabians Oberschenkeln abzustellen, die sich für dieses Vorhaben als zu hoch erwiesen.
»Hallo«, sagte sie befangen. Sie hatte ihn nicht betrogen, da sie überhaupt kein Paar waren. Und trotzdem fühlte sie sich plötzlich schlecht. Er richtete sich auf und schaute ihr in die Augen. Es war erst eine Woche her, dass er für den fremden Jungen sein Leben riskiert hatte. »Und – gibt es eine Spur von Alessio?«
Er schüttelte den Kopf. »Der ist uns letzte Woche wieder entwischt. Aber der andere, Nicolai, ist wieder aus dem Koma erwacht.«
»Oh, gut!« Sie freute sich für den fremden Jungen und komischerweise auch für Alessio.
»Ich habe im Moment auch noch mit dem Mordfall am Hölderlinweg zu tun.«
»Ja klar. Ihr musstet die Geliebte wieder freilassen.« Er lachte leise. »Das stand heute Morgen in der Eßlinger Zeitung. Die Bildzeitung war ein bisschen schneller.«
»Und ihr müsst wieder ganz von vorne anfangen?«
»Kann man so sagen.«
»Was wünschen Sie?« Der junge Verkäufer richtete die Frage an Leonie.
»Ziegenfrischkäse, bitte«, gab sie zurück und schaute zu, wie er den Käse in einen großen Becher füllte. Erwartungsvoll legte der Mops den Kopf schief und bellte.
Auch Fabian kaufte einen Becher Käse. Nachdem sie bezahlt hatten, standen sie in der Marktgasse und suchten befangen nach einem
Weitere Kostenlose Bücher