Blutiger Sand
verfallenen Ranch, sondern in dem kleinen Holzhaus bei der Tankstelle.
Als Charles Manson hier herrschte, war er ein kleiner Junge gewesen. Er wusste dennoch fast alles über diesen genialen Massenmörder. Hatte alles gelesen, was in den Zeitungen über ihn geschrieben worden war. Manson war in seiner Jugend sein Idol, sein Vorbild gewesen. Der Typ war echt irre. Hatte seine ganze Clique dazu gekriegt, für ihn zu töten. Aber damit hat sich dieser Idiot auch um die Hälfte des Vergnügens gebracht, dachte er verächtlich.
Heute brauchte er keine Vorbilder mehr. Er würde es auch ohne sie schaffen, ein berühmter Mörder zu werden. Berühmter als Charles Manson!
Er verlangsamte sein Tempo. Schlich mit zwanzig Meilen pro Stunde dahin.
Hinter der Tankstelle schälte sich eine Blockhütte aus dem Dunst der Morgensonne. Dahinter stand halb verborgen durch die Hütte ein uralter Doppeldecker. Auf der Veranda saßen zwei Männer in Schaukelstühlen. Der ältere rauchte Pfeife und hatte eine Schrotflinte in der Hand. Alle paar Minuten gab er einen Schuss auf die große Reklametafel am Straßenrand ab. Die halbnackte Schöne, die sich darauf in zarten Dessous rekelte, war völlig durchlöchert. Insbesondere ihr liebliches Gesicht und ihr stattlicher Busen.
Der jüngere Mann hatte seinen Hut tief ins Gesicht gezogen und schien, trotz der Schüsse, tief und fest zu schlafen.
Der Fremde hielt vor den Zapfsäulen und stieg aus seinem Wagen.
Hey, sagte er und nickte dem Alten auf der Veranda freundlich zu.
Der alte Mann erhob sich schwerfällig von seinem Schaukelstuhl und bewegte sich langsam Richtung Treppe.
Sein Sohn rührte sich nicht.
Bevor der Alte die erste Stufe erreichte, hatte der Fremde seine Maschinenpistole vom Rücksitz seines Wagens genommen und metzelte ihn nieder.
Der jüngere Mann schreckte bei der ersten Salve hoch. Ehe er nach der Schrotflinte, die neben dem Schaukelstuhl seines Vaters lehnte, greifen konnte, kippte er vornüber. Eine riesige Blutlache breitete sich auf der Veranda aus.
Der Todesschütze zog knallgelbe Plastikhandschuhe über und tankte seinen Dodge voll. Dann ging er zu dem jungen Mann. Er röchelte herzzerreißend.
Der Fremde musste unwillkürlich an seinen einzigen Freund denken. „The Snake“ hatte solche Geschichten immer kurz und schmerzlos zu Ende gebracht. Er hingegen nahm sich die Zeit und wartete, bis der Junge endlich tot war, brachte den leblosen Körper in eine andere, für die Bullen nachvollziehbare Lage, und drückte ihm die Flinte in die Hand.
Der Gedanke an seinen verrückten Kumpel Jimmy brachte ihn auf eine weitere Idee. Er ging in die Blockhütte, holte ein Küchenmesser aus der Schublade unter der Theke. Draußen auf der Terrasse verpasste er sich selbst einen Schnitt in den linken Arm. Wischte die Wunde mit der leblosen Hand des Alten ab und legte ihm das Messer in die blutverschmierte Hand.
Zufrieden betrachtete er sein Werk. Dieses Mal hatte er an alles gedacht – so wie sein Freund es ihm beigebracht hatte.
Er holte sich ein Coke, zwei Säckchen Potato Chips und das Geld aus der Kasse und verließ die Tankstelle bei der Barker Ranch mit quietschenden Reifen. Er hoffte, Charles Manson würde sich über die beiden frischen Leichen auf seiner Farm freuen, wenn er im Knast davon hörte.
6.
Highway 95/North, Nevada, April 2012
„Müssen wir wirklich heute losfahren? Können wir nicht ein paar Tage länger in Vegas bleiben? Wenigstens einen Tag noch?“
Ich lasse mich auf keine Diskussion mit Orlando ein. Außerdem habe ich Kopfschmerzen. Susans Cocktails gestern Abend sind richtige Hämmer gewesen.
Nachdem ich unser Hotelzimmer mit meiner Kreditkarte bezahlt habe, lasse ich unser Gepäck hinunterbringen und folge dem Träger, ohne mich nach Orlando umzusehen.
Wir steigen in unser Mazda Cabrio, das der Portier bereits aus der Hotelgarage geholt hat, und verlassen die Stadt der Sünde.
Ich nehme den Highway 95 Richtung Death Valley.
Als ich mit flotten achtzig Meilen auf der fast leeren Straße dahinbrause, bemerke ich plötzlich im Rückspiegel einen blauen Wagen. Eingeschaltete Signallichter. Kurzes Aufheulen einer Sirene. Mir schwant nichts Gutes.
Der Wagen kommt schnell näher. Ohne nachzudenken steige ich ebenfalls aufs Gaspedal.
„Spinnst du“, schreit Orlando. „Das ist die Highway Patrol. In Nevada fahren sie blaue Autos. Das ist mir gestern schon aufgefallen. Bleib sofort stehen!“
Abrupt trete ich auf die Bremse. Der Wagen gerät
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