Blutiger Sand
Schweißperlen meine Stirn.
Orlando ist in Lethargie verfallen. Sitzt mit geschlossenen Augen neben mir. Ich weiß, dass er nicht schläft. Denn manchmal stöhnt er und öffnet die Augen einen Spalt.
Wir haben den Highway fast für uns allein. Hin und wieder klebt ein riesiger Truck an unserer hinteren Stoßstange. Meistens aber donnern die Herren der Landstraße an uns vorbei. An die Geschwindigkeitsbeschränkung hält sich keiner außer mir, auf dieser Straße mitten durch das weiße Land.
Weit und breit nichts als weißer Sand, durchzogen von einer schnurgeraden grauen Linie, die das Meer aus Sand und Stein in zwei Hälften teilt. Verstaubte, kahle Sträucher am Straßenrand – die einzigen Spuren von Leben. Diese Gegend ist nicht für Menschen geschaffen.
Heiße Winde peitschen den Sand auf und errichten verschwommene, den Bergen täuschend ähnliche Gebilde. Die Luft zittert und die graugelben Steinmassen drohen sogleich wieder einzustürzen. Die Straße verliert sich plötzlich in fiebrigen Wellen. Glänzende Spiegelbilder tauchen am Horizont auf. Umrisse schroffer Felsen, die im nächsten Augenblick im Dunst der glühenden Sonne vergehen. Sandstürme wüten hier das ganze Jahr. Sie überfluten die Straße und zerstören jeden Rest von Leben.
Mein Kreislauf ist nicht in Ordnung. Vor meinen Augen flackern gespenstische Lichter. Das Coke schmeckt scheußlich, ist warm und picksüß, verklebt meinen Gaumen, löscht nicht meinen Durst. Trotz der unzähligen „No Littering“-Schilder werfe ich die halbvolle Dose aus dem Fenster.
Die stickige Luft raubt mir den Atem. In meinen Ohren ertönt ein seltsames Klingeln. Die hohen samtenen Dünen am Straßenrand scheinen zu singen.
„Ich glaub, ich hab einen Tinitus“, kreischt Orlando.
„Das ist nur der Wind“, beruhige ich ihn. „Schau, er versetzt sogar die riesigen Felsbrocken in Bewegung.“ Ich rede wie aufgezogen, um mich wachzuhalten. „Der tiefste Punkt im Death Valley liegt über achtzig Meter unter dem Meeresspiegel …“
„Hör auf zu quatschen. Mir ist schlecht!“
Eine Abzweigung und Straßenschilder. Links geht es nach Devil’s Hole, geradeaus zur Furnace Creek Ranch.
„Das Teufelsloch können wir uns sparen. Aber bis zur Furnace Creek Ranch sind es noch einige Meilen. Auf unserer Karte sind dort nicht nur ein Hotel und eine Tankstelle, sondern auch ein Golfplatz eingezeichnet. Verrückter geht es wohl nicht. Ein Golfplatz am heißesten Punkt der Erde …“
„Meinst du den Devil’s Golf Course? Das ist kein echter Golfkurs, das sind wild zerklüftete und spitze Salzstrukturen“, klärt mich Orlando nach einem Blick in den Reiseführer auf.
„Ich weiß, den meine ich nicht. Man kann tatsächlich in der Oase Golf spielen.“
Wir haben Glück. Eine Tankstelle kommt in Sicht und der Mazda schafft die letzten Meter.
Ich steige aus.
Die Raststätte wirkt wie ausgestorben. Verfallene Hütten erinnern an die Kulissen eines Wildwest-Filmes. Sie schimmern rötlich und golden in der Mittagssonne. Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen. Am Parkplatz stehen zwei LKWs .
Ein verblichenes Schild auf einem schmutzig weißen Holzhaus kündigt die besten Steaks an, die man je gegessen hat.
Ich will es auf einen Versuch ankommen lassen.
Orlando protestiert wieder.
„Ich habe Hunger. Ich muss jetzt was essen.“
„Nicht hier in diesem Drecksnest.“
Die einzigen Geräusche kommen aus dem Inneren der Bar.
In der düsteren Hütte müssen sich meine Augen erst an die Dunkelheit gewöhnen. Es ist angenehm kühl hier drin. Die Klimaanlage läuft auf vollen Touren und macht schrecklichen Krach.
Orlando, der mir mit Leichenbittermiene gefolgt ist, sagt: „Bestell mir ein Coke“, und geht aufs Klo.
An der Theke lehnen zwei Männer. Wahrscheinlich die Fahrer der beiden Trucks, die draußen auf dem Parkplatz stehen. Sie blicken kurz auf, als ich mich neben sie stelle. Dann starren sie weiter in ihr schal gewordenes Bier.
„Kaffee, Coca-Cola, und wir möchten auch etwas essen“, sage ich.
Der alte Mann hinter der Theke beachtet mich nicht. Er scheint voll auf die Fliegen konzentriert, die um ihn herumschwirren. In der Rechten hält er ein zerfleddertes Buch. Er fixiert seine Opfer mit starrem Blick. Wie in Zeitlupe senkt sich das Buch über ein Insekt, das es sich gerade auf dem Rand des Bierglases von einem der LKW -Fahrer bequem gemacht hat. Blitzschnell schlägt er zu. Das Glas fällt zu Boden, zerspringt in tausend
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