Blutiger Sand
auf die Tänze und Gesänge an. Für traditionelle Lieder werden aber nur traditionelle Trommeln verwendet.“
Orlando ist hingerissen vom Tanz der jungen Männer. Keiner der Burschen scheint älter als zwanzig zu sein. Ihre Tänze sind sehr wild, sehr archaisch.
„Sie zeigen ihre Kraft, ihre Schnelligkeit und vor allem ihre Männlichkeit. Viel mehr hat ihr Tanz nicht zu bedeuten.“ Simon lächelt mich an.
„Hast du dich auch einmal so aufgeführt?“ Lachend zeige ich auf zwei eher schmale kleinere Burschen, die sich ein paar Meter vor uns wie in Trance dem Trommelwirbel hingeben. Alles um sie herum scheint eine einzige Kulisse für ihre fast schon akrobatischen Bewegungen zu sein. Ich bilde mir ein, dass ihr Keuchen und Stampfen bis zu uns herauf hörbar ist. Angesichts all des Lärms ist das völlig unmöglich. Ihre mit kräftigen Farben bemalten Gesichter wirken furchterregend. Als sie später knapp an uns vorbei die Stiege hinaufgehen, sehe ich ihre Kindergesichter aus nächster Nähe. Ihre Mienen verraten vor allem Erschöpfung.
Es folgen Schellentänze, Grastänze, Regentänze und andere Gruppentänze … Orlando und ich kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
„Die Wettbewerbe in den verschiedenen Altersklassen, und meist nach Geschlechtern getrennt, laufen den ganzen Tag über“, sagt Simon. „Jetzt kommen gleich meine Leute.“
Der Detective wirkt leicht nervös. „Der Stamm der Winnebago ist stark vertreten.“ In seiner Stimme schwingt Stolz mit. „Als junger Mann habe ich auch an solchen Tänzen teilgenommen. Zuletzt als ich aus dem Irakkrieg heimgekommen bin. Meine Leute haben eine Homecoming Celebration für mich veranstaltet.
„Und was ist da passiert?“, fragt Orlando neugierig.
„Nichts anderes als Gesänge, Tänze und Gebete. Ich war damals fast gerührt, als die Trommler losgelegt haben und meine Leute in die kleine Arena im Heimatort meiner Vorfahren eingezogen sind. Sie waren geschmückt mit Adlerfedern, der US -Fahne und der Veteranen-Fahne. Hinter ihnen sind die Tänzer in ihrer Tracht gekommen. Während sich alle aufgestellt haben, ist das Fahnenlied gesungen worden. Die Gästetrommel hat danach das ‚Vier kleine Priester‘-Lied angestimmt … Aber lassen wir das jetzt. Ich hoffe, sie führen heute den Büffeltanz auf. Er gehört zu meinen Lieblingstänzen, weil er die Gesundheit fördert.“
Mittlerweile habe ich mich an Simons schrägen Humor gewöhnt. Dennoch frage ich: „Wie bitte?“
„Wenn die Büffel zurückkommen, wird es den Indianern wieder besser gehen, glauben zumindest die Ho-Chunk. Büffelfleisch ist viel gesünder, hat weniger Fett als normales Rindfleisch. Indianer sind extrem anfällig für Diabetes. Fast jeder zweite wird bei uns zuckerkrank. Wir vertragen dieses Junkfood noch schlechter als die Weißen. Ist angeblich wirklich genetisch bedingt.“
Ich weiß nicht so recht, ob er mich wieder einmal auf den Arm nimmt oder nicht. Wenn alle Indianer so versessen auf Süßes sind wie Simon, wundert es mich nicht, wenn sie Diabetes bekommen.
Fasziniert folge ich den seltsamen Verrenkungen der Tänzer. Ich fühle mich wie verzaubert. Spüre jeden Trommelschlag in meinem Bauch.
Simon schlägt vor, dass wir uns ein bisschen die Beine vertreten. „Zur ‚Miss-Indian-World-Wahl‘ müssen wir rechtzeitig zurück sein“, sagt er. „Die will ich nicht versäumen.“
„Oh nein! Müsst ihr den Weißen denn jeden Scheiß nachmachen?“
„Habe ich es mir doch gedacht, dass du der Misswahl nichts abgewinnen kannst.“ Er sieht mich verschmitzt an. „Lass dich überraschen ...“
„Komm, sag schon?“
„Bei dieser Miss-Wahl geht es nicht so sehr um Idealfigur oder ein schönes Gesicht. Außerdem haben Indianer ein anderes Schönheitsideal als Weiße. Meine Tante Esther mit ihren hundertdreißig Kilo hätte zum Beispiel, trotz ihrer Leibesfülle, bei diesem Wettbewerb gute Chancen.“
„Wie bei den Arabern. Werden die Frauen gewogen?“, fragt Orlando interessiert.
„Ja, und mit Mustangs bezahlt. Hast du das nicht bei Karl May gelesen?“
„Siehst du, Kafka, Simon kennt Karl May!“
Ich verdrehe die Augen.
„Hast du gedacht, wir Wilden kennen den nicht, Kafka?“ Simon spricht meinen Nachnamen wie „Kefkä“ aus und entlockt mir damit ein Grinsen.
„Also, im Ernst. Das ist kein reiner Schönheitswettbewerb. Die Frauen der verschiedenen Stämme treten in diversen Bewerben gegeneinander an, Gesang, Tanz, Kostüm und was weiß ich ...
Weitere Kostenlose Bücher