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Blutiger Sand

Blutiger Sand

Titel: Blutiger Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Kneifl
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„Bitte erwähnt den Mord von gestern und auch die anderen Morde nicht vor ihr. Es würde ihr Heim verunreinigen.“
    Ein Haus, ein Trailer und ein Tipi. Keine Menschenseele zu sehen.
    Da geht die Tür des Trailers auf und ein großer, schwerer Mann, nicht wirklich dick, aber aufgeschwemmt, kommt auf uns zu. Er nimmt seine Pfeife aus dem Mund und umarmt Simon herzlich. Orlando und mir schüttelt er so kräftig die Hand, dass wir beide vor Schmerz das Gesicht verziehen.
    In diesem Moment öffnet sich die Tür des Hauses, das sich etwa zwanzig Meter entfernt von dem Wohnwagen befindet. Eine mindestens hundertdreißig Kilo schwere Frau bleibt zögernd auf der Türschwelle stehen, so als ob sich ihre Augen erst an den grellen Sonnenschein gewöhnen müssten. Dann stürzt sie sich mit einem hohen Schrei auf Simon, rennt ihn fast um. Sie herzt und küsst ihn so heftig, dass mir ganz Angst und Bang um ihn wird.
    „Das sind meine Tante Esther und mein Onkel Ben“, sagt Simon.
    „Kommt herein, herein mit euch …“ Ihre Stimme passt nicht zu ihrem voluminösen Körper. Es ist die Stimme eines jungen Mädchens.
    „Sie wohnt sehr traditionell“, sagt Simon leise. „Zieht bitte eure Schuhe aus.“
    Sein Onkel bleibt draußen.
    „Die beiden wohnen getrennt. Er hat Hausverbot“, flüstert Simon.
    Auf dem festgetretenen Lehmboden im Inneren des Hauses liegt ein Teppich im Navajo-Stil. Auf den Regalen stehen farbenfroh bemalte Tonkrüge und -schüsseln – die gleichen, die in den Galerien von Taos und Santa Fe ein kleines Vermögen gekostet haben.
    Ein in die Lehmwand genagelter Kalender, in dem einige wenige Termine eingetragen sind, ein paar Fotografien und gewebte Tücher schmücken die Wände. Ein gelbes Wachstuch bedeckt den Tisch. Hinter einem Perlenvorhang befindet sich die Küche. Die zeigt uns Esther nicht. „Möchtet ihr mein Tipi sehen?“, fragt sie stattdessen.
    „Unbedingt“, sage ich.
    Orlando schlüpft, kaum dass wir draußen sind, wieder in seine Highheels und stolpert hinter uns her. Er bleibt mit den spitzen Absätzen an einem Gestrüpp hängen.
    Esthers Tipi hat eine kreisförmige Grundfläche von etwa sechs Metern Durchmesser. In der Mitte ist eine Feuerstelle. Der Rest des Bodens ist mit Planen und Fellen ausgelegt. Vorne über dem Eingang gibt es eine Öffnung für den Rauch. Zwei Klappen, die von hinten mit zwei Stangen gehalten werden. Die Auskleidung innen reicht eineinhalb Meter hoch. Orlando fasst den festen Stoff an, der mit Naturfarben, vermutlich aus Beeren, bemalt und verziert ist.
    „Ist das nicht wunderschön, Kafka?“ Orlando strahlt.
    „Traumhaft“, sage ich. „Kindheitsträume werden wahr.“
    „Das Innenfutter dient vor allem als Windschutz“, sagt Simon, der sich offensichtlich über unser Interesse genauso freut wie seine Tante.
    „Tipis dienen heutzutage als zusätzlicher Wohnraum, also als eine Art Gästezimmer. Früher hat in so einem Zelt eine ganze Familie gewohnt. Tipi bedeutet übrigens ‚das Haus, das man benutzt‘. Ihr seht, unsere Sprache ist sehr klar.“
    „Nennt man das nicht Wigwam?“, fragt Orlando.
    „Nein, mein Lieber. Die Indianer im Nordosten unseres Landes haben Wigwams. Bei uns im Südwesten gibt es nur Tipis.“
    Nicht zum ersten Mal fällt mir auf, dass Simon mit meinem Freund Orlando sehr nett umgeht, ihn fast wie einen Sohn behandelt.
    Esther, die den kurzen Wortwechsel mitbekommen hat, lädt uns sofort ein, in ihrem Tipi zu übernachten.
    Simon lehnt dankend ab. „Wir haben es ziemlich eilig, können nicht lange bleiben.“
    „Aber zum Essen müsst ihr wenigstens bleiben.“
    „Ich kann deinen Kochkünsten nicht widerstehen, das weißt du doch, Honey.“
    Esthers Gesicht glänzt nicht nur vor Freude. Schweißperlen stehen auf ihrer Stirn. Der kleine Rundgang scheint sie sehr angestrengt zu haben.
    „Wir essen draußen. Ich will Ben dabeihaben. Muss mit ihm reden“, sagt Simon in energischem Ton.
    Sie will etwas erwidern, fügt sich aber, als ihr Neffe sie anlächelt. „Bitte Tante, ich sehe euch beide so selten.“
    „Wenn du nie Zeit hast …“
    „Ich muss arbeiten …“
    „Das hat Ben auch immer gesagt und dann ist er stundenlang im Pub gesessen.“
    Simon würgt die leidige Diskussion rasch ab, indem er zu Orlando und mir sagt: „Sie wohnen, wie gesagt, getrennt. Ben lebt im Trailer. Tante Esther hat ihn ausquartiert. Sie kocht und wäscht aber für ihn. Im Haus herrscht striktes Rauchverbot. Und er raucht wie ein Schlot.“

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