Blutiger Sand
Ich kann mich kaum mehr an ihn erinnern. Er war ein sehr schweigsamer und ernster Mann, ein Kriegsheld, hat unzählige Auszeichnungen und Medaillen bekommen. Als Kind habe ich manchmal mit seinen Orden spielen dürfen.“
„Im Zweiten Weltkrieg haben bei euch drüben in Europa viele Indianer gekämpft, so wie auch viele Angehörige anderer Minderheiten“, sagt Ben. „Vor allem wir Navajo galten als furchtlose Kämpfer. Wir haben keine Angst vor dem Tod, da wir glauben, dass der Mensch nach dem Tod eine große Reise antritt.“
„Das glauben viele“, murmle ich.
„Bitte?“
„Du musst lauter sprechen. Ben hört schlecht“, sagt Simon.
„Wohin soll diese Reise führen?“
„Es gibt keinen bestimmten Ort, an den man gelangt. Es geht allein um die Reise.“
Esther zieht sich zu einem Mittagsschläfchen in ihr Haus zurück.
Ben lädt uns auf ein Schnäpschen in seinen Trailer ein.
Sie schenkt ihm einen bösen Blick, bevor sie die Tür hinter sich schließt.
Es ist ein warmer Tag. Das Thermometer im Wohnwagen zeigt bereits jetzt siebenundsiebzig Grad Fahrenheit.
Ben schiebt seinen Hut in den Nacken und wischt sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn.
Simon informiert seinen Onkel nun über den Doppelmord auf dem Campingplatz in Albuquerque und bringt die Sprache auch auf die Ermordung des Pärchens im Royal Hawaiian Motel im Jahre 1993.
Ben langt nach einer von meinen Zigaretten. Klopft sie gegen das Feuerzeug, steckt sie in den Mund und zündet sie an.
„Rauch lieber deine Pfeife. Du sollst doch keine Zigaretten qualmen“, ermahnt Simon seinen Onkel. „Er hat schweres Asthma und Herzprobleme“, sagt er zu uns.
„Sei still, Junge.“ Ben zieht genüsslich an meiner Zigarette und sieht zu, wie der Rauch in kleinen Kreisen vor ihm aufsteigt.
„Der Doppelmord im Royal Hawaiian Motel ist damals in meinen Zuständigkeitsbereich gefallen. Ich war Sheriff bei der Navajo Tribal Police“, sagt er. Es gab damals einen Verdächtigen. Ich erinnere mich sogar noch an seinen Namen. Der Typ hieß Jimmy Rattle. War angeblich ein Weißer, der sich gern als Indianer ausgab. Leider haben wir ihn nicht erwischt. Er ging zur Armee, hat im Irakkrieg gekämpft.“
„Von diesem Rattle hat auch Donally gesprochen. Der Mann ist aber im Irak umgekommen“, sage ich laut.
„Davon weiß ich nichts.“
„Hast du neue Informationen?“, frage ich Simon.
„Leider haben sich meine Kollegen noch nicht gemeldet. Sie durchforsten sicher noch die Vermissten- und Gefallenen-Daten.“
„Wie hat dieser Jimmy Rattle ausgesehen?“
„Ich habe ihn, wie gesagt, nie zu Gesicht bekommen. Bevor wir ihn festnehmen konnten, ist er spurlos verschwunden. Das FBI hat den Fall übernommen und einen anderen verhaftet, später aber wieder freilassen müssen. Er hat ein wasserdichtes Alibi gehabt.
„Sagt Ihnen der Name ‚The Snake‘ etwas? Ich glaube, dass dies sein indianischer Name war.“
Er schüttelt den Kopf. „Das ist kein indianischer Name. Wir verwenden keine Artikel, sondern beschreibende Worte.“
„Wahrscheinlich ist er wirklich ein Weißer. Ein Heiler hat uns erzählt, dass er einen Mann, der von einer Schlange gebissen worden ist und den Biss überlebt hat, so nannte.“
„Rolling Thunder“, wirft Simon ein. „Du kennst ihn.“
„Der ist ein bisschen plemplem“, sagt Ben. „Den kannst du nicht mehr ernst nehmen.“
„Alles, was er uns erzählte, hat sehr vernünftig und glaubwürdig geklungen“, widerspreche ich ihm.
Ben zuckt mit den Achseln. „Ich erinnere mich an diesen grässlichen Fall recht gut. Wir haben im Royal Hawaiian Motel ein richtiges Massaker vorgefunden. Die Frau ist in der Dusche gelegen. Ihre Kehle war durchgetrennt, ein klaffender Spalt. Sie war splitternackt. Kein Blut war zu sehen. Das war auffällig. All ihr Blut ist weggespült worden. Ihr Mann lag erschossen im Pool. Das Wasser war blutrot. Kurz nachher hat das Motel dicht gemacht. Kein Mensch hat mehr dort absteigen wollen.“
Simon erzählt ihm, dass einer der beiden Täter von damals inzwischen gefasst werden konnte und im Arizona State Prison in Florence sitzt.
„Gut gemacht, mein Junge! Darauf müssen wir anstoßen!“
Ben drängt uns, seinen selbst gebrannten Agavenschnaps zu kosten.
„Du weißt, ich mag keinen Mescal“, verweigert Simon das Gläschen, das ihm sein Onkel hinstellt.
Ich nippe an meinem Glas. Verziehe das Gesicht und lasse den Rest stehen.
„Dieses Zeug kann man nicht saufen“, sage
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