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Blutiger Sand

Blutiger Sand

Titel: Blutiger Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Kneifl
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leben, ohne großen Ehrgeiz, ohne Erfolgszwang und Leistungsdruck, aber natürlich auch ohne Existenzängste. Ich bin nicht sehr anspruchsvoll. Was ich mir wünsche, ist ein Job, der mich nicht allzu viel Kraft und Energie kostet und der mir viel Zeit für mich selbst lässt. Wenn ich mir diese Art von Leben ausmale, empfinde ich fast eine Art Glücksgefühl. Jemand anderen in meiner Nähe würde ich vielleicht sogar als störend empfinden, weil andere Menschen immer fordern, drängen, bestimmen und nicht zulassen, dass ich meine Tage so verbringe, wie ich es möchte. Ich habe nie genügend Freiraum für mich selbst gehabt.“
    Ich greife nach einer von Simons Zigaretten. Er gibt mir Feuer. Ich berühre sanft seine Hand, streichle sie liebevoll.
    „Auch die Einsamkeit hier gefällt mir“, sage ich. „Ja, wirklich, schau mich nicht so ungläubig an. Ich habe mir die Wüste früher oft als etwas Furchterregendes und gleichzeitig Langweiliges vorgestellt. Wenn du mir vor einem Monat prophezeit hättest, dass ich mich in dieser öden Gegend wohl fühlen und mich sogar an die mörderischen Temperaturen gewöhnen würde, hätte ich dich ausgelacht.“
    „Hier ist weit und breit keine Wüste. Wir sitzen am grünen Ufer des Rio Grande“, sagt Simon lächelnd. Legt seinen Arm um meine Schultern und zieht mich eng an sich. „Auch ich liebe die Wüste. Der Sand erinnert mich an die Haut einer Frau. Weich und heiß und erregend. Und die Hitze kommt der Leidenschaft gleich. Die Nacht schleicht sich nicht an wie in den Städten. Sie kommt schnell, fast so schnell wie ein Wirbelsturm, der nichts mehr übrig lässt. Sie vernichtet alles und erlaubt zugleich alles, macht alles möglich, was am Tag noch unmöglich schien. Ich liebe die Nächte in der Wüste. Leider sind sie viel zu kurz. Schmerzlich sehnt man sich nach der Dunkelheit, der Kühle, und dann ist sie gleich wieder vorbei.“ Er spricht ganz leise, wie zu sich selbst.
    Ich habe Mühe, seine Worte zu verstehen. Lehne meinen Kopf an seine Schulter und höre dem monotonen Klang seiner Stimme weiter zu. Beinahe singend kommen die Worte aus seinem Mund: „Die Wüste ist nicht weit entfernt. Hörst du ihre Stimmen? Ja, du hörst sie auch, musst sie einfach hören. Du brauchst keine Angst zu haben.“
    Ich zittere, weil mir kalt ist.
    „Die Wüste ist nicht wirklich gefährlich, nicht für diejenigen, die sie lieben. Man kann sich darin auch nicht verlieren. Jeder Stein, jeder Strauch sieht anders aus, besitzt eine eigene Farbe, eine eigene Form. Die Steine sind Wegweiser, keine Hindernisse. Komm einmal mit mir in die Wüste. Ich werde dir die Kakteen zeigen, die deformierten, die stolzen, die widerspenstigen. Hast du einmal Kakteen aufmerksam betrachtet? Sie wachsen jedes Jahr ein winzig kleines Stück, werden kräftiger und zäher. Ich mag sogar die verdorrten Sträucher am Straßenrand. Auch sie sind schön, wild und hartnäckig. Sie trotzen der Hitze. Keinem Sturm gelingt es, sie zu entwurzeln. Sie halten die Stellung. Außer irgendein Idiot von Autofahrer fährt sie nieder. Aber selbst dann stehen sie manchmal wieder auf und erholen sich. Du denkst bestimmt, dass ich verrückt bin. Ja, ich bin verrückt, so wie diese karge Landschaft, in der ich aufgewachsen bin und in der ich begriffen habe, was Leben für mich bedeutet.“
    Er verfällt in Schweigen. Auch mir ist nicht mehr nach Reden zumute.
    „Langweile ich dich?“, fragt er nach einer Weile.
    „Wie kommst du auf diese blöde Idee.“ Ich lache verlegen.
    Wir sehen uns an. Unsere Bierflaschen sind leer.
    Er holt Nachschub aus seinem Wagen.
    Als er sich wieder zu mir setzt, ist die Nähe zwischen uns verschwunden. Unsere Körper berühren sich nicht mehr. Es ist, als hätten wir Angst voreinander.
    Wir trinken das zweite Bier ziemlich rasch. Ich spüre, wie mir der Alkohol zu Kopf steigt.
    Behutsam lehne ich mich wieder an seine Schulter und sage: „Red weiter, ich höre dir so gerne zu.“
    Unsere Finger berühren sich zufällig.
    Ich beuge mich zu ihm hinüber und küsse ihn auf den Mund. Er drückt mich fest an sich. Plötzlich schiebt er mich wieder sanft von sich weg.
    „Wir sollten schlafen gehen“, sagt er.
    Simon klappt die Rücksitze seines Jeeps um. Legt sich quer in den Wagen und deckt sich mit seiner bunten Navajo-Decke zu.
    Die Nacht ist kalt. Obwohl ich mich im Zelt eng an Orlando schmiege, friere ich.
    Ein Hund beginnt zu jaulen und plötzlich ertönt in der Ferne bedrohliches

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