Blutiger Sand
Sheriff zu sprechen und wird von dem Deputy anstandslos durchgelassen.
Ich laufe einfach hinter ihm her. Wahrscheinlich hält mich der junge Mann für Simons Assistentin.
Als wir bei den beiden mit Planen bedeckten Körpern angelangt sind, geht Simon in die Hocke und hebt die Plane über der ersten Leiche hoch. Die neben uns stehenden Beamten hindern ihn nicht daran.
Ich blicke in sein kantiges Gesicht mit der breiten Stirn, dem ernsten sinnlichen Mund und den schräg stehenden schwarzen Augen. Plötzlich weiten sich seine Augen und ich sehe, wie sein Blick flackert, während gleichzeitig alle Farbe aus seinem Gesicht weicht.
„Schau nicht her“, warnt er mich.
Ich schaue hin. Sehe ein bleiches Frauengesicht. Sehe die Wunde in ihrem Hals und ihren blutüberströmten Oberkörper. Ich presse die Lippen zusammen. Bedecke die Augen mit den Händen und wende mich ab. Ich kann nicht weinen. Mir ist nur übel.
Als er auch das Gesicht der zweiten Leiche freilegt, bin ich mir sicher, die beiden Frauen schon einmal gesehen zu haben. Sie waren gestern beim Pow Wow. Sind nach der Eröffnung in unserer Nähe gesessen und haben fotografiert, und ich bin ihnen am Stand von Claire dann ein zweites Mal begegnet. Zwei fröhliche, abenteuerlustige Holländerinnen, wenn ich mich nicht irre.
Simon wechselt ein paar Worte mit den zuständigen Beamten. Kurze Zeit später steht er wieder neben mir. Legt seinen Arm um mich und fragt mich besorgt: „Alles okay mit dir?“
„Zwei Frauen.“
„Europäische Touristinnen.“
„Messer oder Revolver?“
„Messer.“
„Er war es. ‚The Snake‘ lebt und mordet fröhlich weiter, während wir uns aufführen wie ein Pärchen in einem romantischen Liebesfilm. Mir reicht’s!“, fauche ich Simon an.
„Was haben Sie hier zu suchen?“ Ein schlanker jüngerer Typ mit Halbglatze und einer runden Hornbrille starrt uns böse an. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, dezente dunkle Krawatte. Er sieht aus wie ein Priester. Wirkt sehr steif, als hätte er einen Stock im Kreuz. Die meisten FBI -Agenten kommen aus katholischen Privatschulen, habe ich irgendwo gelesen.
Simon stellt sich vor, zeigt ihm seine Marke und erklärt ihm, warum wir hier sind.
Der FBI -Agent wird zwar eine Spur freundlicher, fordert uns aber trotzdem auf, den Tatort zu verlassen.
In Simons Augen erscheint dieser Blick, den ich bereits kenne und fürchte. Bevor er wieder einen seiner Wutanfälle bekommt und noch einmal einen FBI -Mann niederschlägt, ergreife ich seinen Arm und zerre ihn von den Leichen weg.
„Lass uns gehen“, sage ich. „Wir können hier sowieso nichts tun.“
Simon ist deutlich anzumerken, dass er nicht bereit ist, klein beizugeben. Schließlich gibt er aber meinem Drängen nach.
Als wir, ohne Frühstück, zu unserem Zelt zurückkehren, empfängt uns Orlando mit Vorwürfen, dass wir ihn allein gelassen haben.
„Der Campingplatz-Mörder hat wieder zugeschlagen.“ Mit diesem einen Satz bringe ich ihn zum Schweigen.
Orlando sieht mich an, als wäre ich irre.
„Wir haben es eindeutig mit zwei Serientätern zu tun. Dem Campingplatz-Mörder und dem Route-66-Mörder Dick Carson.“
16.
Route 66, New Mexico, April 2012
Auf unserer Weiterfahrt nach Gallup hängt jeder von uns seinen eigenen Gedanken nach. Simon scheint nicht gewillt, den Doppelmord am Rio Grande mit uns zu diskutieren. Er hat, während Orlando und ich das Zelt abbauten, ausgiebig mit seinem Büro telefoniert, uns aber nicht gesagt, was er mit seinen Leuten besprochen hat.
Ich bekomme die bleichen Gesichter der beiden erstochenen Frauen nicht aus meinem Kopf. Mein Magen spielt verrückt. Ich habe noch immer nichts gegessen und bin mir sicher, dass ich in den nächsten Stunden keinen Bissen hinunterkriegen werde. Diese armen Holländerinnen! Plötzlich sehe ich ihre begeisterten Gesichter beim Pow Wow vor mir. Daraufhin wird mir erst recht schlecht.
Nach einer guten Stunde, in der keiner von uns einen Ton von sich gegeben hat, biegt Simon vom Highway ab. Die schmale Straße endet in einem Feldweg. Sein Jeep wirbelt mächtig Staub auf, als er bremst. Ein uralter schwarzer Chrysler, der mit der Nase zur Straße steht, versperrt den Weg.
„Wir sind da. Das ist Bens Wagen. Mein Onkel scheint ausnahmsweise zuhause zu sein. Na ja, wir haben erst elf Uhr, selbst für ihn ein bisschen früh für einen Pubbesuch. Er ist übrigens mit einer sehr imposanten, energischen Navajo verheiratet. Tante Esther wird euch gefallen“, sagt Simon.
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