Blutiger Sand
ich auf Deutsch zu Orlando.
Orlando leert sein Glas in einem Zug. „Schmeckt wie Tequila.“
„Das ist Tequila. Reinster Tequila. Er wird aus den Herzen der Agaven gemacht. Wie ich Ben kenne, hat dieses Zeug mehr als vierzig Prozent Alkohol“, sagt Simon grinsend.
Als jemand an die Tür des Trailers klopft, lässt Ben die Schnapsflasche rasch unter seinem Bett verschwinden. „Dieses verfluchte Weib spürt es, wenn ich was trinke“, sagt er.
Esther fragt, ob wir noch einen Kaffee und etwas Süßes möchten.
Bevor Orlando Ja sagen kann, schlage ich vor, aufzubrechen.
Simon ist ganz meiner Meinung.
Der Abschied von Esther und Ben fällt sehr wortreich aus. Esther lässt ihren Neffen erst gehen, nachdem sie ihm das Versprechen abgenommen hat, nächsten Monat wieder vorbeizuschauen.
„Ich habe Zimmer für uns im El Rancho bestellt“, sagt Simon, als wir in seinem Jeep sitzen. „Meine Tante wäre zu Tode beleidigt, wenn sie wüsste, dass wir nur ein paar Meilen weiter übernachten. Aber ich glaube, ihr habt für heute genug von meiner Verwandtschaft.“
Das El Rancho in Gallup an der Route 66 ist ein echtes Kleinod.
Orlando und ich lassen uns von Simon vor dem Eingang Arm in Arm fotografieren. Über uns prangt der Spruch „Charm of Yesterday, Convenience of Tomorrow“.
„Dieses Hotel ist ein Ort für Nostalgiker, für Menschen, die lieber von der Vergangenheit träumen, weil sie die Gegenwart schlecht ertragen“, sagt Simon. „Die Hotelhalle befindet sich übrigens im Originalzustand. Jedes Zimmer wurde nach einem berühmten Hotelgast benannt. Ich glaube, es wird euch gefallen.“
„Es gefällt uns, nicht wahr, Kafka?“ Orlando schießt gleich noch ein paar Fotos.
„Das Haus ist Anfang der 1930er-Jahre gebaut worden. Finanziert von einem berühmten Hollywood-Produzenten, der ein Hotel für seine Stars und die Filmcrews gebraucht hat, während er in der Nähe unzählige Wildwest-Filme gedreht hat“, sagt Simon.
Als wir die dunkle Lobby mit dem großen offenen Kamin betreten, verstehe ich, was er mit seiner Bemerkung über Nostalgiker gemeint hat.
Ich liebe diesen verblichenen Charme. Man spürt das ganz besondere Flair und den Luxus vergangener glanzvoller Zeiten.
Der hübsche, offensichtlich schwule Rezeptionist strahlt Orlando an, redet nur mit ihm.
Das El Rancho scheint schlecht besucht zu sein. Die angeblich besten Zimmer stehen zur Verfügung. Wir haben die Qual der Wahl.
Nach einer kurzen Diskussion entscheiden wir uns für die Humphrey-Bogart-Suite. Orlando hätte lieber das Zimmer von Grace Kelly, der späteren Fürstin von Monaco, gehabt.
„Adel bleibt Adel, und gern unter sich“, spotte ich in Erinnerung an Orlandos mörderische adelige Verwandtschaft in Florenz.
Daraufhin gibt er klein bei.
Simon verweigert die John-Wayne-Suite und entscheidet sich für Marilyn Monroes Zimmer. „‚Misfits‘, wurde hier in der Nähe gedreht, einer ihrer besten Filme“, sagt er.
Unsere Suiten befinden sich im ersten Stock, am Ende eines langen Korridors.
Links und rechts in der Lobby führen Treppen hinauf auf die Galerie. Alle Wände des Hotels sind mit Hochglanzfotos aus der Blütezeit der großen Hollywood-Studios tapeziert. Auf den Fotos prangen die Unterschriften der Stars. Auch im ersten Stock zieren die Konterfeis von Hollywoodgrößen die Wände.
Orlando und ich sind begeistert von der altmodischen Einrichtung unserer Suite. Lauter Antiquitäten. Art-déco-Lampen aus den dreißiger Jahren, eine Kommode und ein Schreibtisch aus den Vierzigern des vorigen Jahrhunderts und ein verblichener Perser auf dem urigen, knarrenden Holzboden.
Die Matratzen unserer Betten sind ziemlich durchgelegen. Allein schon bei dem Gedanken, dass Humphrey Bogart vielleicht so manche Nacht in meinem Bett geschlafen hat, bin ich mir sicher, dass ich eine schlaflose Nacht verbringen werde. Ich zünde mir sofort eine Zigarette an.
„Hier ist Rauchverbot“, zischt Orlando.
„Wir sind in der Humphrey-Bogart-Suite. Du wirst doch nicht im Ernst glauben, dass mir in dieser Suite jemand das Rauchen verbietet? Leider habe ich keine filterlose Chesterfield, sonst würde ich sie mir ihm zu Ehren anstecken.“
„An der Decke ist ein Rauchmelder. Ich sag’s dir nur.“
Bevor er hysterisch wird, reiße ich das Fenster auf.
Wir packen aus, duschen und gehen wieder in die Lobby.
Simon wartet bereits auf uns. Er sitzt in einem dick gepolsterten Fauteuil vor dem Kamin, die Beine auf dem Couchtisch, und hält
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