Blutiger Segen: Der 1. SEAN DOYLE Thriller (German Edition)
Lippe schmerzte an der Stelle, wo sie gespalten war.
Laura Callahan nahm lediglich das Gemurmel von Stimmen in der Nähe wahr, dazu den Geruch von Feuchtigkeit und den Bodendielen, auf denen sie saß. Einige von ihnen schienen verschimmelt zu sein. Sie zuckte zusammen, als sie spürte, wie etwas über ihre gefesselten Hände huschte. In der Blindheit ihrer Gefangenschaft malte sie sich aus, wie alles Mögliche, unzählige widerliche Tierchen über ihre Haut krabbelten. Spinnen. Kakerlaken. Ameisen. Sie wollte schreien, die Männer bitten, das Klebeband zu entfernen, ihre Fesseln zu lockern, die in die Handgelenke schnitten. Doch sie konnte nicht bitten, konnte nicht betteln, konnte nicht flehen, weil der Knebel ihre Mundhöhle ausfüllte. Er schmeckte alt, wie ein ungewaschenes Taschentuch. Mit Abscheu ging ihr auf, dass der Knebel wahrscheinlich genau das war. Bei dem Gedanken krampfte sich ihr Magen zusammen. Einen Moment lang befürchtete sie, sich übergeben zu müssen. Würden sie den Knebel dann entfernen oder sie an ihrer eigenen Kotze ersticken lassen? Sie hatte gehört, wie sie mit ihrem Tod drohten, und bezweifelte nicht, dass sie die Drohung wahr machten, wenn sie nicht bekamen, was sie wollten. Ihr war nach Weinen zumute, doch ihre Furcht verhinderte sogar diesen Gefühlsausbruch.
Sie hörte, wie sich Schritte näherten. Schwere Schritte, die auf den nackten Dielen hallten. Aufgrund der verklebten Augen nahm sie im Gegenzug Geräusche wesentlich deutlicher wahr, so wie vorhin den vorbeifahrenden Zug, dessen leises Grollen das ganze Zimmer erbeben ließ. Jetzt kamen die Schritte näher, und sie spürte die Nähe einer anderen Person. Sie konnte riechen, wie sich nach Zigarettenqualm stinkender Atem auf sie herabsenkte.
Das Klebeband über ihren Augen wurde mit einem Ruck abgerissen. Ein erschreckend starker Schmerz. Teile ihrer Augenbrauen und Wimpern rissen zusammen mit der klebrigen Folie ab. Erneut wollte sie schreien, und erneut hinderte sie der Knebel daran.
Ein Gesicht grinste sie an. Mit harten Zügen und kalten Augen.
Der Mann wirkte völlig ungerührt.
»Sieh genau hin«, sagte er, indem er ihr den Kopf in den Nacken riss und dafür sorgte, dass sie jede Einzelheit seines Gesichts erkennen konnte. »Wenn dein Mann nicht bezahlt, was wir von ihm verlangen, werde ich derjenige sein, der dich tötet«, sagte Maguire ohne erkennbare Regung. »Wahrscheinlich hast du nicht viel über seine Geschäfte gewusst, hm? Wahrscheinlich weißt du gar nicht, dass er uns eine Ladung unbrauchbarer Gewehre verkauft hat, was?«
Sie versuchte, den Kopf zu schütteln.
»Tja, wegen seiner Dummheit wirst du möglicherweise sterben. Ich hoffe nur, um sein Mitgefühl ist es besser bestellt als um seine Vernunft.« Er ließ ihre Haare los, stand auf, und winkte Dolan zu sich. Als der jüngere Mann mit seinem allgegenwärtigen Grinsen auf den Lippen zu ihnen schlenderte, sah sich Laura im Zimmer um. Etwa dreieinhalb Meter lang und drei Meter breit. An der hinteren Wand ein Waschbecken und ein Herd mit zwei Kochplatten. Darauf stand ein dampfender Kessel. Sie sah, wie ein anderer Mann den Inhalt des Kessels in eine Teekanne goss. Sie konnte immer noch nicht erkennen, wo sie sich genau befand. Links von ihr eine Tür, geschlossen. Sie fragte sich, ob dahinter noch weitere Männer warteten. Sie hörte wieder ein Grollen. Es näherte sich schnell und verlor sich dann in der Entfernung.
Ein Zug. Genau wie vorhin.
»Pass auf sie auf!« Maguire ging auf die andere Seite des Zimmers.
Dolan grinste zu ihr herab, den Blick auf den Schlitz in ihrem Morgenmantel gerichtet. Er konnte einen Großteil ihrer linken Brust sehen. Sein Lächeln wurde breiter. Er beugte sich vor und zog den Mantel etwas weiter auseinander, bis beide Busen freilagen. Dann betatschte er die pralle Rundung mit der Rechten und genoss ihre Wärme.
»Nimm deine beschissenen Hände da weg.«
Maguires Stimme sauste wie ein Schwerthieb durch das kleine Zimmer.
Dolan ließ los und wich einen Schritt zurück. Er grinste nicht länger.
»Wofür hältst du das hier? Für ein Spiel?«
»Tut mir leid, Jim«, murmelte der Jüngere. »Aber was soll’s? Sie ist doch sowieso bald tot.« Sein Grinsen kehrte langsam zurück.
»Das gilt auch für dich, wenn du dich nicht von ihr fernhältst. Pass einfach nur auf sie auf.«
Dolan nickte.
Als sein Blick zu Laura zurückkehrte, hatte sie zu weinen angefangen.
Er wusste, dass es nicht mehr lange dauerte.
Die Jagd
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