Blutiger Segen: Der 1. SEAN DOYLE Thriller (German Edition)
Wohnzimmer, wo er sie kurz abstellte, um das Hüftholster abzuschnallen. Der Charter Arms .44 landete auf dem Sofa neben der CZ, und er betrachtete die beiden Waffen einen Moment lang, bevor er in den schmalen Korridor ging, der zum Schlafraum und zum Bad führte.
Im Badezimmer drehte Doyle die Dusche an und testete mit der Hand die Temperatur des Wassers, das aus dem Duschkopf sprudelte. Er setzte sich auf den Hocker und zog sich seine Baseballstiefel und Socken aus. Dann stand er auf und betrachtete sich im Spiegel. Er streifte sein T-Shirt ab.
Sein Oberkörper glich einem Flickenteppich aus Narben, von denen sich einige von der Schulter bis zum Nabel zogen, während andere kürzer, manchmal tiefer über Brust und Bauch verliefen. Er drehte sich um und betrachtete seinen Rücken, wo es noch weitere gab. Vor allem eine fiel ins Auge, die sich vom linken Schulterblatt über den Rücken und dann schräg nach unten zur Lendenwirbelregion zog.
Diese Wunde hätte ihn beinahe umgebracht.
Doyle drehte sich wieder um und zog mit der Spitze seines Zeigefingers eine besonders tiefe Narbe nach, die seinen rechten Brustmuskel teilte. Dort gab es auch keine Brustwarze, sondern nur ein ausgefranstes Loch, das im grellen Licht der Neonröhre an der Decke dunkel wirkte.
Er zog seine Jeans aus und warf sie beiseite.
An den Beinen und Pobacken gab es noch mehr Narben. Sogar das linke Schienbein hatte schwer etwas abbekommen. Die Narben sahen unter den Haaren auf seinen Beinen blass aus.
Ein Körper wie eine Landkarte.
Er hatte sich inzwischen mit den Narben abgefunden. Zu Anfang war es ihm schwergefallen. Oft, vor allem zu Beginn, als er das Ausmaß seiner Verletzungen erkannte, hatte er den Drang verspürt, zu weinen – nicht aus Selbstmitleid, sondern aufgrund des Schadens an seinem Körper. Er verspürte eine tiefe Dankbarkeit, dass sein Gesicht relativ unversehrt geblieben war, wenn man von einer tiefen Narbe absah, die sich vom linken Augenwinkel bis zum Kiefer zog. Er hatte Glück gehabt. Den Großteil hatten Rumpf und Beine abbekommen.
Doyle starrte seinen Körper noch einen langen Moment an. In dieser Zeit fluteten Erinnerungen seine Gedanken, die auch nach fünf Jahren noch unangenehm frisch wirkten.
Der Mann, den er damals verfolgte, hatte drei Menschenleben auf dem Gewissen. Allesamt Politiker. Er hatte zu den Top-Attentätern der IRA gehört, und Doyle benötigte über drei Monate, um den Mistkerl aufzuspüren. Er hatte sich wochenlang in der Gegend um Londonderry und Belfast herumgetrieben und nach Spuren des Mannes gesucht, bis er ihn schließlich fand. McNamara. Er konnte sich noch an ihn erinnern. Doyle hatte den Befehl erhalten, den Mann lebend zu erwischen, und genau das versuchte er auch, als McNamara erkannt hatte, dass er in der Falle saß. Die Jagd hatte sie durch die Bezirke Creggan und Bogside geführt, doch auf der Craigavon Bridge hatte McNamara es sattgehabt, von diesem verrückten Engländer verfolgt zu werden.
McNamara trug damals ein paar Pfund Sprengstoff bei sich, vermutlich für einen bevorstehenden Job. Er war in einen auf der Brücke abgestellten Wagen gesprungen, und als Doyle näher kam, die Pistole bereits auf den Flüchtigen angelegt, hatte McNamara die Ladung gezündet.
Der Wagen war in Tausende von Stücken gesprengt worden, und der Ire gleich mit. Die umherfliegenden Trümmerstücke töteten zwei Passanten, viele weitere wurden verwundet.
Doyle gehörte auch dazu.
Er konnte sich noch erinnern, wie er auf der Brücke gelegen hatte, nicht in der Lage, sich zu bewegen. Mit einem Gefühl, als stehe er in Flammen, doch absolut fähig, jedes Detail wahrzunehmen, was rings um ihn vorging.
Ein Kind hatte auf ihn herabgestarrt, auf das Blut, das aus seinen Verletzungen rann und riesige Lachen um ihn bildete. Am lächerlichsten empfand er damals, dass eine leere Zigarettenschachtel neben ihm im Rinnstein lag und Doyle seine Augen nicht von den Worten auf der Verpackung losreißen konnte: RAUCHEN KANN IHRER GESUNDHEIT SCHWEREN SCHADEN ZUFÜGEN. Aber nicht so schwere Schäden wie Sprenggelatine, hatte er sich gesagt. Zugleich sein letzter Gedanke, bevor er das Bewusstsein verlor.
Drei Tage später wachte er in einem Krankenhaus auf (später erfuhr er, dass es sich um ein Armeekrankenhaus handelte) und verspürte stärkere Schmerzen, als er es je für möglich gehalten hätte.
Ein scharfkantiges Metallstück hatte einen seiner Lungenflügel durchbohrt. Bruchstücke davon steckten immer
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