Blutiger Segen: Der 1. SEAN DOYLE Thriller (German Edition)
haufenweise Semtex hier in London. Das ergibt überhaupt keinen Sinn.«
»Seit wann ergibt irgendwas von dem Mist in Irland einen Sinn, Ron?«
»Stimmt auch wieder«, murmelte Wyatt nachdenklich.
»Ich melde mich in Kürze bei dir«, versprach Doyle. Diesmal legte er den Hörer tatsächlich auf.
Also Shepherd’s Bush. Irgendwie logisch. Die Dienststelle, die dem Tatort am nächsten lag. Darauf hätte Doyle auch selbst kommen können.
Er ging ins Schlafzimmer, wo er sich rasch abtrocknete, dann holte er eine saubere Jeans und ein sauberes T-Shirt aus dem Kleiderschrank, zog die Sachen an und schlüpfte in ein paar Cowboystiefel. Er warf einen kurzen Blick auf sein Spiegelbild und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Dort nahm er den 44er aus dem Holster, ließ den Zylinder herausschnappen und leerte die Kammern. Er sammelte die Patronen zusammen und ging zum Schrank neben der Stereoanlage, die immer noch Musik spielte.
»... Let me keep on sleeping, forget that I’m alone ...«
Doyle öffnete eine Schublade und holte eine Schachtel heraus. Er ging damit zum Sofa und hockte sich auf die Armlehne.
»... One day of faceless living is twenty-four hours too long ...«
Die Kupfermäntel reflektierten das Licht, funkelten und blitzten, als Doyle der Schachtel sechs Patronen entnahm. Er betrachtete die Munition einen Moment lang fast bewundernd und schob langsam eine davon in jede Kammer des 44ers.
Diese Patronen waren sein ganzer Stolz.
Schrot in flüssigem Teflon, eingehüllt in einen Kupfermantel.
Wunderschön.
Die doppelte Sprengkraft eines Dum-Dum-Geschosses. Diese Patronen mussten nicht zuerst auf Knochen treffen. Sie explodierten sofort beim Eindringen in ihr Ziel. Eine genügte. Immer.
Er schob die letzte Kugel in den Zylinder, ließ ihn zuschnappen und stopfte sich die Waffe in den Bund seiner Jeans. Er zog die Lederjacke an, schaltete die Anlage aus und ging zur Tür, die Wagenschlüssel in der Hand.
Doyle hatte schon den halben Weg die Treppe hinunter zurückgelegt, als sein Telefon klingelte. Er zögerte nur eine Sekunde, wusste, dass der Anrufbeantworter das Telefonat entgegennehmen würde.
Doch nach dem zweiten Klingeln kehrte Stille ein.
Zum zweiten Mal an jenem Abend hatte der Anrufer beschlossen, keine Nachricht zu hinterlassen.
Was er zu sagen hatte, wollte er also Doyle persönlich mitteilen. Solange konnte es warten.
14
BRETAGNE, FRANKREICH
Absolut scheußlich.
Channing hatte keine Ahnung, womit er es zu tun hatte, aber das Wesen war abstoßend. Trotz seiner widerlichen Erscheinung betrachtete er es eingehender und staunte dabei weniger über das Groteske der Schöpfung als vielmehr über das Geschick, mit dem der Künstler es erschaffen hatte.
Seiner Schätzung nach musste das Buntglasfenster mindestens 500 Jahre alt sein, aber die Handwerkskunst konnte man nur als bemerkenswert bezeichnen. Nun, da er den Lappen in Äthanol tauchte und damit vorsichtig einen Teil der Scheibe bearbeitete, traten die Farben deutlicher zutage. Im Schein der Sturmlampe kam das Bild mit unendlicher Langsamkeit unter der Schmutzschicht zum Vorschein. Channing arbeitet intensiv daran, den Dreck zu entfernen. Draußen versank die Sonne hinter den Hügeln und blutete ihre Farbe über den Himmel. Channing bekam davon nichts mit. Er nahm nur das Fenster vor sich zur Kenntnis.
Und das Gesicht, das mit jedem Augenblick deutlicher wurde.
Es war nicht richtig, ging es Channing durch den Kopf. Er hatte in seinem Leben schon genug Buntglas gesehen, um zu erkennen, dass er es bei diesem Artefakt nicht mit dem Werk eines gottesfürchtigen Verstands zu tun hatte. Kein Mann Gottes würde ein derart abstoßendes Bild erschaffen.
Wer hatte also dann dieses Fenster angefertigt?
90 Prozent vom Glas bedeckte immer noch ein Teppich aus Staub und Schmutz, teilweise so dick, dass nicht einmal der Alkohol dagegen ankam.
Catherine würde wissen, wie man die anderen Scheiben freilegte, dachte er. Sie musste es wissen. Sobald das ganze Motiv zu erkennen war, fand er vielleicht ein paar Antworten.
In Stein gehüllt, wie er es vorgefunden hatte, sah das Fenster aus, als habe es jemand versteckt. Als habe sein Schöpfer es in der Kirche von Machecoul verborgen. Als sei sein Anblick nur ausgewählten Augen vorbehalten gewesen.
Nach allem, was er bisher zutage gefördert hatte, konnte er sich gut vorstellen, dass nicht viele diesen Anblick schätzten.
Das Gesicht trat deutlicher hervor.
Der Schmutz der Jahrhunderte hatte den Lappen
Weitere Kostenlose Bücher