Blutiger Spessart
Bierbankreihen, immer auf der Suche nach entsprechender Beute. Es dauerte auch nicht lange, dann hatte er ein Opfer erspäht. Eine hübsche Blondine, die mit einem alten Knacker, wie er im stillen Selbstgespräch feststellte, am Tisch saß und mit einer Frau zu ihrer Linken in ein Gespräch vertieft war. Eine junge Frau, die absolut seinem Beuteschema entsprach. Von eins bis zehn auf seiner persönlichen Bewertungsskala sicher eine neun, wenn nicht eine zehn. Das würde sich noch herausstellen. Erfreulicherweise war an diesem Tisch auch noch ein Platz frei, direkt neben seiner »Zielperson«. Ricardo Emolino trat näher, machte durch ein Räuspern auf sich aufmerksam und wies mit fragendem Blick auf den freien Platz. Die Blonde warf Ricardo einen kurzen Blick zu, dann nickte sie und rutschte ein Stück zur Seite. Ohne Unterbrechung führte sie das Gespräch weiter. Ihrem neuen Nachbarn schenkte sie dabei keine Aufmerksamkeit. Dies gedachte Ricardo schnellstens zu ändern. Er setzte sich so, dass er mit der Hüfte leichten Körperkontakt zu ihr erhielt. Durch die Enge auf der Bank war ihr ein weiteres Ausweichen nicht möglich.
Ricardo kam der Mann, den er als alten Knacker eingestuft hatte und der ihm nun schräg vis-à-vis saß, irgendwie bekannt vor. Er wusste ihn aber im Augenblick nicht einzuordnen. Es war ihm im Prinzip auch egal, weil der Typ keinesfalls als Konkurrenz in Frage kam.
Als wenig später die Blasmusik wieder einsetzte, nutzte Ricardo die Chance für einen ersten Angriff und forderte seine Nachbarin höflich zum Tanz auf. Ricardo konnte, wenn er wollte, ausgesprochen charmant sein. Die Frau erteilte ihm jedoch freundlich, aber bestimmt eine Absage. Ein Vorgang, den er eigentlich nicht gewohnt war und der ihm ziemlich die Nase hochstieg. Er gab sich aber noch lange nicht geschlagen. Im Gegenteil: Das ablehnende Verhalten seiner Banknachbarin reizte ihn noch mehr. Er hatte schon ganz andere Mauern niedergerissen.
Nach dem Tanz spielte die Kapelle einen Tusch. Ricardo hob seinen Krug und prostete seinem Gegenüber und seiner Nachbarin zu. Sie hob auch ihren Krug und stieß mit ihm an, trank aber kaum und wandte ihm sofort wieder die Schulter zu, um sich weiter zu unterhalten.
Verdammt, dachte er, was gibt es denn zwischen den beiden so Wichtiges zu begackern? Da die beiden Frauen recht leise sprachen, konnte er nur Wortfetzen verstehen.
Etwas später stand die Gesprächspartnerin seiner Nachbarin auf, weil sie, wie sie sagte, den Toilettenwagen aufsuchen wollte. Jetzt sah Ricardo den richtigen Moment gekommen.
Er beugte sich demonstrativ zu der jungen Frau hinüber, hob wieder seinen Maßkrug und erklärte ohne Einleitung. »Servus, ich bin der Ricardo.«
Sie sah ihn zwar etwas erstaunt an, antwortete aber kurz mit »Steffi.« Sie prostete ihm ebenfalls nicht unfreundlich zu, blieb aber distanziert und nahm nur einen kleinen Schluck.
»Gell, dir schmeckt das Bier nicht?«, hakte er gleich ein.
»Ich mach nur langsam, weil ich noch Auto fahren muss«, gab sie zurück.
In diesem Augenblick sagte der Mann gegenüber zu ihr: »Steffi, ich geh mal schnell dort hinüber. Ich hab den Abgeordneten Wohlschlegel gesehen. Dem will ich mal kurz die Hand schütteln.«
»Alles klar, Papa«, erwiderte sie.
Ricardo registrierte mit einer gewissen Befriedigung das bestehende Verwandtschaftsverhältnis und hakte damit den alten Knacker, wie er ihn bei sich nannte, vollständig ab. Zu Steffi gewandt meinte er: »Du, wenn dir das Bier schmeckt, kannst du ruhig mehr trinken. Ich hab mein Auto dabei und kann dich später gerne heimbringen.«
Die junge Frau lachte und warf einen bezeichnenden Blick auf seinen Bierkrug. »Meinst du für dich gelten andere Regeln? Ich denke, es ist besser, wenn du dein Fahrzeug später stehen lässt.«
»Kein Problem«, stellte Ricardo großspurig fest, »ich kenne da eine Abkürzung, dort sind bestimmt keine Sheriffs.«
In diesem Augenblick kam eine andere junge Frau an den Tisch und begrüßte seine Tischnachbarin überschwänglich. Es hatte den Anschein, als hätten sich die beiden schon lange nicht mehr gesehen. Dann passierte es auch schon: Steffi erhob sich, schnappte ihren Bierkrug und meinte lächelnd: »Ich geh mal einen Tisch weiter. Viel Spaß noch!« Dann war sie weg.
Emolino hatte plötzlich auf der Bank jede Menge Platz zur Verfügung. Wut wegen der Abfuhr stieg in ihm hoch. Diese Blonde war zwar sehr hübsch, aber offenbar kalt wie eine Hundeschnauze.
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