Blutiger Spessart
Licht des Erdtrabanten ausreichte, um mithilfe eines starken Nachtzielfernrohrs einen sicheren Schuss auf seine Beute abgeben zu können.
Wenn Simon Kerner auf die Jagd ging, war er ein anderer Mensch. Die straff strukturierten Abläufe einer Ermittlungsbehörde, die sich ausschließlich an Gesetzen und Verordnungen zu orientieren hat, verlangten einen Menschen, der auf dieser Klaviatur spielen konnte. Kerner war auf diesem Gebiet ein Virtuose, der mit voller Passion der Verbrechensbekämpfung nachging. Genauso motiviert war er aber auch auf der Jagd. Insgeheim vertrat er die Meinung, dass sich die schwierige Jagd auf das intelligente Schwarzwild nur in Nuancen von der Verfolgung eines Verbrechers unterschied. Nur der meist finale Abschluss der Jagd auf Wildschweine unterschied sich natürlich von dem einer Verbrecherjagd.
Kerner folgte gegen 22.00 Uhr einem Wiesenweg. Er führte auf der rechten Seite am Waldrand entlang, während sich auf der anderen Seite eine Wiese erstreckte, an die sich wiederum das besagte Maisfeld anschloss. Schließlich gelangte Kerner zu einem Hochsitz, der an einen Dickungsrand gebaut war. Diese mehrere Hektar große Aufforstung befand sich am Fuße einer der zahlreichen bewaldeten Erhebungen, wie sie für den Spessart so typisch sind. Kerner hatte sich umgezogen und trug nun zweckmäßige Outdoorbekleidung. Über der Schulter hing sein großkalibriges Jagdgewehr, auf dem Rücken trug er einen Rucksack mit allerlei Utensilien.
Von diesem Hochsitz aus hatte man einen ausgezeichneten Blick auf das ungefähr siebzig Meter entfernte Maisfeld, das sich etwa achtzig Meter in der Längenausdehnung an die Grünfläche anschloss. Dieses Maisfeld war seit Tagen der Anziehungspunkt für eine große Rotte Wildschweine, die, wie er wusste, in der Dickung hinter dem Hochsitz ihren Tageseinstand hatten. Mais war für Wildschweine eine Delikatesse, ähnlich wie Kaviar für manche Menschen. Nach den Spuren, die Kerner schon seit Tagen bei abendlichen Besuchen im Revier beobachtet hatte, traten die Schwarzkittel ein Stück entfernt links von seinem Hochsitz aus dem Wald aus. Von dort wechselten sie regelmäßig, fast exakt im rechten Winkel zum Waldrand, über die Weide und drangen in das Maisfeld ein. In dieser Phase, in der sich die Schwarzkittel, wie man aus den Spuren lesen konnte, offenbar Zeit ließen, sollte ihm als geübten Schützen ein Treffer gelingen.
Kerner erklomm den Hochsitz und ließ sich in ungefähr sieben Metern Höhe auf das Sitzbrett nieder. Von hier aus hatte er einen hervorragenden Blick über die leichte Senke. Über den Rand des Maisfeldes hinweg, gewissermaßen am Horizont, konnte er den geschotterten Wirtschaftsweg erkennen, der sich zwischen den Ortschaften Partenstein und Wiesthal mehrere Kilometer entlangzog. Wie Kerner wusste, war dies eine beliebte Abkürzung der Landbevölkerung zwischen den beiden Orten – im Volksmund auch Cognacstraße genannt. Anders ausgedrückt, ein Schleichweg in beide Richtungen für nicht mehr ganz fahrtüchtige Dorfbewohner.
Er zog sein Gasfeuerzeug heraus und hielt es in die Höhe. Die sensible Flamme war der beste Anzeiger für die Windrichtung. Da Wildschweine ein ausgezeichnetes Witterungsvermögen besaßen, war diese Vorsicht durchaus angezeigt. Von links, also Westen, kam eine sanfte Brise auf ihn zu. Der Jäger nickte zufrieden. Solange sich die Windrichtung nicht unvermittelt änderte, würden ihn die schlauen Schwarzkittel, wenn sie an der erwarteten Stelle austraten, nicht wittern können.
Er stellte sein Jagdgewehr in die Ecke der Kanzel. Es handelte sich um einen modernen Halbautomaten in dem eher seltenen Kaliber 35. Whelen, einem sehr effizienten Hoch-wildkaliber. Dann packte er seinen Rucksack aus. Mit Decken polsterte er die freiliegenden Holzteile des Hochsitzes, einschließlich der Brüstung, damit ihn beim Hantieren mit der Waffe kein Geräusch verraten konnte. Schon ein leichtes metallisches Kratzen konnte genügen, um die aufmerksamen Wildschweine zu vertreiben.
Als alles gerichtet war, zog er das bereits befüllte Magazin aus der Tasche, lud die Waffe durch und sicherte sie.
Ein halbautomatisches Jagdgewehr hatte den Vorteil, dass nach einem abgegebenen Schuss die leere Patronenhülse ausgeworfen und aus dem Magazin automatisch die nächste Patrone nachgeladen wurde. Das erlaubte dem Jäger eine schnellere Schussfolge, was aber bei der Nachtjagd kaum eine Rolle spielte.
Danach legte er das Gewehr so vor sich auf die
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