Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
Unbehagen. Vor einem Einzelnen brauchte ein Oger keine Angst zu haben, doch bei dem Gedanken, einer ganzen Armee von ihnen gegenüberzustehen, stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Sie hatten etwas von Geistern. Sicherlich waren sie nicht unverwundbar, wie Rator beruhigend festgestellt hatte, als Trumbadin aus dem Käfig fiel, doch sie waren zäh, und das allein zählte.
»Was denkst du, wie ich dir helfen soll zu jagen? Ich bin ein Gelehrter«, entgegnete Trumbadin schnippisch. »Außerdem scheint mir der Spalt nicht gerade der richtige Ort, um nach Wild Ausschau zu halten. Und wenn ich dich daran erinnern dürfte - du bist angekettet.«
Was die Kette betraf, hatte der Zwerg auf jeden Fall Recht, alles andere würde sich herausstellen.
»Zwerg haben Schwert«, sagte Rator. »Schwert Waffe von Krieger. Du gehen jagen, oder du sein Köder für Jagd.«
Die Entscheidung fiel Trumbadin leicht. Eine innere Stimme sagte ihm, dass dieses Wesen nur wenig Widerspruch duldete. Wer wusste schon, was mit diesem Kruzmak passiert war? Vielleicht hatte er nur in eine andere Richtung gehen wollen oder darauf beharrt, seinen kleinen Vorrat an Essen für sich zu behalten und nicht zu teilen, und schon hatte dieser Rator ihn ins Jenseits befördert. Der Maester war nicht darauf aus, es herauszufinden. Er legte die Hand auf den Griff seiner Waffe und nickte beflissen. »Auf geht's«, sagte er mit etwas mehr Euphorie, als er tatsächlich verspürte.
Rator gefiel es, wie leicht der Bärtige umzustimmen war. Er kannte dieses Volk nur aus Nelbor, und dort waren sie zäh, unbeugsam und unbelehrbar. Er hoffte nur, dass bei den Bleichen der Mut nicht genauso ausgeprägt war wie ihre Sturheit, denn seinen Mut würde der kleine Mann noch brauchen. Rator tauchte einen trocknen Ast in den schwarzen Tümpel und entzündete ihn an den blau tanzenden Flammen. Gierig kletterte das Feuer an der provisorischen Fackel empor.
»Trumbadin folgen Rator. Immer bleiben nahe.«
»Mach dir keine Sorgen, Rator aus dem Volk der Oger. Ich werde keinen Schritt von dir weichen, aber wenn die schwere Kette dich in die Tiefe zieht, verlange nicht von mir, dass ich hinter dir herspringe«, warnte der Maester. »Schon kräftigere Kerle als du haben probiert, das Eisen hinter sich herzuziehen und scheiterten. Mit jedem Schritt, den du tust, wird es schwerer werden, und irgendwann wird die Kette so an dir zerren, dass du glaubst, sie reiße dir das Bein ab.«
»Zwerg jagen, Rator halten Kette«, grummelte der Oger.
Er hätte es nicht zugegeben, aber obwohl er den kleinen Mann erst seit einigen Augenblicken kannte, mochte er ihn bereits. Vielleicht lag es daran, dass er einer der wenigen war, die nicht schreiend davonliefen, wenn sie Rator erblickten - oder versuchten ihn zu töten. Vor Jahren, als Mogda noch als Gesandter zwischen den Völkern fungierte, redeten die Hüttenbauer viel und gerne mit den Ogern. Sie hatten zwar meistens nur ihren Vorteil im Sinn, doch sie redeten. Seitdem Mogda verschwunden war und das Bündnis zu bröckeln begonnen hatte, wurden die Hüttenbauer immer wortkarger und misstrauischer. Anstatt zu reden, griffen sie jetzt lieber wieder zu ihren Waffen. Im Grunde genommen war dies Rator nur recht, denn mit der Klinge konnte er besser umgehen als mit Worten, aber die Ausbeute an Informationen und Gefälligkeiten war entsprechend karg.
»Ich muss dich warnen«, sagte Trumbadin. »Wir Zwerge sind mit dem Schwert nicht die besten Jäger. Die meisten Tiere laufen uns einfach davon wie der Wind den Bäumen. Mit etwas Glück können wir ein oder zwei Schneelöffler ausgraben, aber wenn ich dich so ansehe, denke ich, der Aufwand lohnt sich kaum. Wenn uns die Götter wohlgesonnen sind, könnten wir einen ganzen Bau ausheben, doch auch der Inhalt eines Baus wäre für dich nicht mehr als ein kleiner Leckerbissen.«
»Was sein Schneelöffler?«, fragte Rator.
Trumbadin lachte. »Es wundert mich nicht, dass du sie nicht kennst. Es sind kleine Tiere, sehr unscheinbar, sozusagen Meister der Tarnung. Zu vergleichen sind sie mit Kaninchen. Kaninchen kennst du doch, oder?«
»Kleine Tiere, lange Ohren. Mehr Angst als Geschmack«, kommentierte Rator.
»Genau. Ich sehe schon, du bist ein Feinschmecker.«
Rator und Trumbadin hielten auf den Durchbruch zu, der zum Spalt führte. Wie immer lag er im Dunkeln. Nur etwa eine halbe Stunde am Tag schaffte es die Sonne, ihre Strahlen bis auf den Grund zu senden. Die andere Zeit des Tages brach sich das Licht
Weitere Kostenlose Bücher