Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
Bären«, fügte Marmu fast im gleichen Tonfall hinzu.
»Mal abgesehen davon, dass hier jeder mehr zu sehen glaubt als ich und sich die Bären beim Laufen zu vermehren scheinen, kommt es keinem komisch vor, dass Schiffe über Land segeln?«, fragte Mogda erbost.
Kapitän Londor warf einen erneuten Blick über die Mauer und schnaubte kurz. »Nein.«
»Nein, was?«, grollte Mogda.
»Zum einen sind mir die Bären wirklich nicht aufgefallen, aber die Ogerfrau hat Recht, es sind Bären. Zum anderen kann ich euch beruhigen: Es sind nicht wirklich Schiffe, eher Schlitten. Sie sind gebaut wie Katamarane mit zwei schlanken Rümpfen, so ähnlich wie Kufen. Die Segel lassen sie über das Eis gleiten, nur anscheinend reicht die Stärke des Windes nicht aus, sie vollends voranzutreiben, deshalb die Bären. Solche Gefährte sind eigentlich unüblich und nur schwer zu lenken. Der Untergrund muss glatt und eben sein, sonst drohen die Kufen auseinanderzubrechen. Außerdem kann man mit solchen Eisseglern nicht richtig manövrieren. Sie fahren eigentlich immer nur geradeaus. Wenn man die Richtung wechseln will, hält man an und schiebt sie per Hand auf den neuen Kurs. Der einzige Vorteil, den die Gefährte haben, ist, dass man viele Männer oder viele Waren schnell von einem Ort zum anderen bringen kann, wenn das Terrain es zulässt.«
Mogda war verblüfft. Londor hatte sich bisher nicht als jemand gezeigt, der viel und gerne sprach, besonders nicht mit Ogern. Aber sein Kommentar zu dem kaum sichtbaren weißen Flimmern am Horizont überstieg alles, was der Oger erwartet hatte. Nichtsdestotrotz war die Antwort nicht sonderlich erfreulich. Wenn es stimmte, was der Kapitän behauptete, mussten sie sich darauf einstellen, einer großen Anzahl Gegnern entgegenzutreten. Sechzig Oger gegen vielleicht ...
»Wie viele Männer kann so ein Schiff transportieren?«, fragte Mogda.
Londor sah ihn verwundert an. »Woher soll ich das wissen? Ich habe so ein Ding noch nie gesehen.«
Mogda kam sich veralbert vor. »Ihr habt doch gesagt ...«
»Ich habe gar nichts gesagt«, kam ihm der Kapitän zuvor. »Es sind so etwas wie Schlitten - ja. Aber alles, was ich von ihnen weiß, ist vom Hörensagen. Geschichten von Leuten, gekritzelte Bilder auf Papier, gestammeltes Wissen von Betrunkenen aus irgendwelchen Kaschemmen. Gesehen habe ich noch keines dieser Eisschiffe, und mein Erstaunen über ihre wirkliche Existenz ist nicht geringer als Eure.«
Mogda musste seine Meinung über Londor wieder ein klein wenig zurechtrücken. Dennoch wollte er auf seine Meinung nicht verzichten. »Was glaubt ihr, wie viele Leute haben auf so einem Eisschiff Platz?«
Erneut warf Londor einen Blick über die Mauer. »Von der Größe der Segel und der Breite zwischen den Kufen her, würde ich sagen ...« Er grübelte einen Moment.
»Sagt schon«, drängte ihn Mogda. »Wenn Ihr Euch noch länger Zeit lasst, kann ich sie bald selbst zählen.«
»Sechzig pro Schiff.«
Mogdas schlimmste Befürchtungen wurden wahr. Londors Schätzung zufolge konnten dreihundert bewaffnete Barbaren auf den Schiffen sein und wahrscheinlich dreißig Bären, die sie zogen, wenn sie sich so weitervermehrten. Sein Trupp bestand zwar aus sechzig Ogern, aber so, wie er die Krieger aus dem Norden einschätzte, waren die Oger ihnen körperlich höchstens zwei zu eins überlegen, nicht fünf zu eins. Am liebsten hätte er den Rückzug befohlen, doch dann würden seine Kameraden ihm nie wieder folgen. Ein Rückzug war in ihren Augen blanke Feigheit.
Was mache ich hier eigentlich?, schalt er sich selbst in Gedanken. Ich führe sechzig Oger in ein fremdes Land, um mich ihrer Königin, die als Göttin verehrt wird, und vielen tausend Kriegern entgegenzustellen. Doch sobald die ersten von ihnen auftauchen, bekomme ich Zweifel. Dreihundert - eigentlich sollte ich mich freuen. So bleibt uns etwas Verschnaufpause, bis wir den Rest von ihnen unterwerfen. Wir sind gekommen, um ihnen zu beweisen, dass wir die größten Kämpfer sind und uns nicht von ihnen unseres Gottes berauben lassen. Dreihundert heißt, dass wir ins Schwitzen kommen werden, und etwas Wärme können wir hier ruhig gebrauchen.
Erschrocken stellte Mogda fest, dass seine Hand auf dem Schwertknauf ruhte. Die Stimme in ihm war seine eigene gewesen, doch die Gedanken selbst schienen noch einen anderen Ursprung zu haben. Schon des Öfteren hatte ihn das Runenschwert zu waghalsigen Unternehmungen verleitet. Bis jetzt war es nicht so, dass es ihn
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