Blutiges Echo (German Edition)
eine tolle Figur und das Gesicht voller Botox.
»Nein, ich bin mit Talia hier. Sie wohnt hier.«
Die Frau lachte. »Allerdings. Ab und zu. Ich bin ihre Mutter.«
»Oh, freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte Harry und streckte die Hand aus.
»Ich bin Julia«, erwiderte sie, nahm seine Hand und hielt sie sanft fest. Ihre Augen sahen ganz genauso aus wie die von Talia. »Ich bin ein bisschen beschwipst.«
»Ja, Ma’am.«
»Ach, bitte nenn mich nicht so. Sonst komme ich mir so alt vor! Lass uns tanzen.«
»Ich bin kein guter Tänzer. Hab’s nie gelernt.«
»Ich kann’s dir beibringen.«
Harry schüttelte den Kopf. »Sie würden nur Ihre Zeit verschwenden.«
»Ach, hier bist du.« Das war Talia.
»Hallo, mein Schatz«, sagte Julia. »Ich hab gerade versucht, dir deine Begleitung auszuspannen.«
»Das glaube ich sofort«, antwortete Talia. Mutter und Tochter lieferten sich ein Blickduell.
»Ich hol mir jetzt was zu trinken«, sagte Julia. »Ihr zwei vergnügt euch. Und zeig dem Jungen, wie man tanzt. Er sagt, er kann es nicht.«
Wie ein in Blut getauchter Vogel segelte Julia auf dem Licht und der Musik davon und tanzte, als hielte sie einen Partner im Arm.
»Sie ist sehr charmant«, bemerkte Harry.
»Sie ist eine Schlampe«, erwiderte Talia. »Sie würde dich flachlegen, weißt du das? So ist sie nämlich drauf.«
Harry wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Langsam bekam er das Gefühl, dass die Welt in Wahrheit gar nicht rund, sondern unförmig war und kaum Schwerkraft besaß, sodass man nicht richtig darauf stehen konnte.
»Aber bilde dir nicht zu viel darauf ein«, fuhr Talia fort. »Mit den Angestellten hat sie auch schon gevögelt. Sowohl mit den männlichen als auch den weiblichen. Wer immer willens war und nichts gegen einen kleinen Zuverdienst hatte.«
Harry schaute zu den Angestellten hinüber, die neben dem reichlich gedeckten Tisch standen.
»Mit denen allen?«
»Nein. Sie vögelt sie, bezahlt sie und feuert sie. Die hier sind alle neu. Einige davon sind nicht ihr Typ. Obwohl ihr fast jeder recht ist.«
Auch hierauf wusste Harry keine Antwort, und es hob nicht unbedingt sein Selbstwertgefühl.
»Komm, wir holen uns einen Drink«, sagte Talia.
»Ich trinke nicht.«
»Nur heute Abend.«
»Ich hab es jemandem versprochen.«
»Komm schon, für mich.«
»Nein, nicht einmal für dich. Ich trinke eine Limo, oder vielleicht einen Eistee.«
»So langsam entwickelst du dich zur Spaßbremse.«
Sie holten sich was zu trinken, Talia nahm sich ein Bier, Harry eine Limo, und kurz darauf tanzten sie. Harry war nicht besonders gut, aber Talia half ihm, indem sie sehr eng tanzte und ihn führte. Bald stand sie wieder an der Bar und holte sich ein neues Bier. Während der Abend voranschritt, trank sie immer weiter und tanzte immer ausgelassener. Gegen Mitternacht rieb sie sich an seinem Bein wie ein rolliger Hund.
Irgendwann entdeckte Harry drüben am Büfetttisch einen der Typen, die damals auf dem Campus mit Talia herumgehangen hatten. Kyle hieß er. Als Harry sich wieder zu Talia umwandte, sah er, dass sie den Burschen ebenfalls beobachtete, und irgendetwas in seinem Magen verdrehte sich, als würde eine Waschfrau einen feuchten Lappen auswringen.
»Komm, wir schnappen ein bisschen frische Luft«, sagte er. »Hinterm Haus, wo die Band nicht so laut ist.«
»Ja, gut. Oh, ich hab ’n Schwips.«
»Schatz, du bist betrunken.«
»Nur ein bisschen.«
Sie nahmen den Hinterausgang, gingen durch den großen Carport und sahen sich um. Die Sterne ruhten auf den Wipfeln der Kiefern, und das Leuchten der vorderen Gartenlaternen floss über das Hausdach und löste sich in eine dünne Silberschicht auf, bevor es die Bäume erreichte.
»Komm mit, ich zeig dir was«, sagte Talia. »Ist ziemlich cool.«
»Hauen wir ab?«
»Nein, wir gehen nur nach hinten, den Waldweg runter. Früher hab ich da immer gespielt. Da steht nämlich so was wie ein Rübenkeller oder Sturmbunker. Auch wenn wir natürlich keinen brauchen und ihn auch nie dafür benutzt haben. Aber Mom und Dad gefiel die Vorstellung, einen Bunker zu haben, und für mich war es ein Spielhaus. Irgendwann war ich dafür zu alt, und dann hat Daddy ihn übernommen.«
Sie nahm Harry an der Hand und führte ihn durch den Garten auf den Wald zu. »Dahin verzieht er sich, wenn er meiner Mutter aus dem Weg gehen will. Mit ein paar Freunden spielt er da immer Karten. Früher jedenfalls. Jetzt war er schon ewig nicht mehr da.«
»Ist das Teil dann nicht
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