Blutiges Echo (German Edition)
Bunker.
Pause. Stille.
Dann ein Ratschen.
Eine Flamme loderte auf.
Ein brennendes Streichholz.
Im Feuerschein sah Harry das Bündel auf dem Fußboden liegen. Der Mann beugte sich darüber, die Flamme züngelte über sein Gesicht, aber es war trotzdem noch zu dunkel, um seine Züge zu erkennen.
Das Streichholz erlosch.
Ein weiteres wurde angezündet.
Der Mann ging quer durch den Raum zu einem Regal. Er hinkte, als schmerze ihm der Fuß. Er nahm eine Kerze vom Regal und zündete sie an. Die Kerze flackerte, und das Licht im ganzen Raum flackerte mit. Dann schnürte der große Mann das Bündel auf. Ein junger Mann lag darin. Kein Kind, sondern ein Jugendlicher. Selbst in dem trüben Licht konnte Harry erkennen, dass der Bursche rote Haare und Sommersprossen hatte.
Außerdem hatte er einen Lumpen im Mund – nein, eine Socke –, und an Händen und Füßen war er gefesselt, anscheinend mit Draht. Auf seinem Kopf prangte eine riesige knallrote Himbeere. In dem Moment wurde Harry klar, dass der Große den Rothaarigen draußen mit dem Kopf gegen die Tür geknallt hatte, und ab da war das Ganze aufgezeichnet worden. Er beobachtete, wie der ängstliche junge Mann versuchte, sich auf dem Hintern aus seiner Hülle zu schälen und wegzurobben. Weit kam er nicht. Er stieß gegen die Wand.
Der Große richtete sich auf, wobei sein Schatten wie ein geteertes Brett über den Jungen fiel. Er bückte sich, zerrte den Jungen an den Füßen in die Mitte des Raumes, drehte ihn auf den Hintern, legte ihm den linken Arm um den Hals und hakte die Hand in seiner rechten Armbeuge ein, schob die freie Hand an den Hinterkopf seines Opfers und begann ihn zu würgen …
»Das tut weh … Harry, nicht so fest!«
… und der Raum war erfüllt von Farben und dem Zappeln und Würgen des jungen Mannes, der zu verhindern versuchte, dass seine Halsschlagadern zerquetscht wurden. Schmerzende Nervenfasern, reißende Muskelstränge – all das klang in Harrys Ohren so laut wie Silvesterkracher. Dann gab der junge Mann ein Gurgeln von sich, und seine zusammengebundenen Füße fuhren hoch und schlugen auf den Boden, dann noch einmal, und dann rührten sie sich nicht mehr. Der Große drückte weiter zu; er beugte sich vor, stützte sein ganzes Gewicht auf den Nacken des jungen Mannes …
»Um Himmels willen, hör auf!«
… und dann knallte es so laut, dass Harry dachte, seine Augen würden aus ihren Höhlen treten. Der Große stieß einen Seufzer aus, wie ein müder Mann, der sich zum Ausruhen hinlegt, dann wurde alles …
… gleißend hell und Talia schrie: »Du machst mir Angst. Hör auf! Lass das!«
Harry fuhr zurück. Seine Finger schmerzten, und sein Verstand war wie besoffen.
»Du tust mir weh!«
Harry hielt Talias Arm gepackt, und er drückte so fest zu, dass ihm die Finger wehtaten. Er klammerte sich an sie, als gälte es sein nacktes Leben. Ihr Kleid war heruntergerutscht, und ihre Brüste wogten, während sie sich loszureißen versuchte.
Er ließ sie los.
»Tut mir leid … tut mir leid. Großer Gott, Talia. Großer Gott … jemand wurde ermordet.«
»Was?« Talia stand auf und steckte die Arme durch die Schulterträger. Sie sah Harry an, als wäre er in einem goldglänzenden Jumpsuit vom Himmel gefallen.
»Genau hier«, fuhr er fort. »In diesem Raum. Hier wurde jemand ermordet.«
»Ermordet? Wovon redest du …? Du hast mir die Arme zerquetscht, du Arsch!«
»Und ich glaube, es war dein Vater.«
Teil IV
Im Schlund der gefräßigen Bestie
Kapitel 40
Draußen war die Luft leichter zu atmen und der Himmel erfüllt von den strahlenden Gartenlaternen. Auf dem Rasen drängten sich die Leute, weil Talia mit irrem Geschrei aus dem Keller gestürzt und auf das Haus zugerannt war, als wäre sie in Säure getunkt worden. Zurück blieb ein völlig verwirrter Harry, dem das Jackett fehlte.
Sie brachte die Meute mit sich zurück. Betrunken war sie nicht mehr. Ihr Rausch war wie weggeblasen.
Da stand er also, allein auf weiter Flur, in einiger Entfernung zum Bunker am anderen Ende des Gartens, und sah sie heranwogen wie eine große, elegant gekleidete Flut.
»Was machst du mit meiner Tochter?«, fuhr Talias Dad ihn an. »Sie hat gesagt, du hast ihr wehgetan.«
»Das wollte ich nicht«, sagte Harry. »Es war ein Versehen. Ehrlich. Ich hatte … ich hatte eine Vision.«
»Du hattest was?«, fragte ihr Vater.
»Eine Vision.«
»Er ist verrückt, Daddy«, warf Talia ein. »Ich wusste nicht, dass er verrückt ist.«
»Ist schon
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