Blutiges Echo (German Edition)
tatsächlich ein bisschen stolz auf sich.
»Schönen Abend, gute Nacht«, sagte er zu dem leeren Zimmer.
Harry warf einen Blick auf die Anzughose und das schicke Hemd über der Stuhllehne. Verdammt, dachte er, das war die Gelegenheit, den Mist zurückzugeben. Und dann: Du warst bloß ihr Schoßhündchen, du Idiot. Und nicht mal heiß und innig geliebt. Nur ein dämlicher Köter, den sie eine Weile mochte, und als sie die Nase voll von dir hatte, wollte sie dich ins Tierheim geben. Schon jetzt, in dieser Nacht, streichelt sie einem anderen Spaniel den Kopf. Einem reinrassigen. Nicht irgend so ’ner Promenadenmischung wie dir.
Was habe ich auf lange Sicht aus all dem gewonnen?, fragte er sich.
Tja nun. Da war das eine. Das war schon mal was.
Dennoch stieg bei der Erinnerung daran kein so gutes Gefühl in ihm auf, wie er sich wünschte. Und dann hatte er natürlich noch gesehen, wie jemand in der Vergangenheit in einem alten Schutzbunker ermordet wurde – na ja, eigentlich in seinem Kopf – und hatte dabei Talias Arm so fest gedrückt, dass sie aufschrie, und das fühlte sich auch nicht gerade grandios an.
Und nicht zu vergessen, er hatte Jimmy kennengelernt. Er kam richtig rum und traf neue Leute. Das hatte doch was Gutes. Von einem bezahlten Schläger vermöbelt zu werden, das war eine ganz neue Erfahrung.
Er spürte, wie sich verschiedene Gefühle in ihm zusammenballten und an der Innenseite seines Schädels abprallten, aber es waren nicht seine eigenen Gefühle. Vielleicht waren sie durch seine eigenen freigesetzt worden, aber sie gehörten irgendwelchen Zeitreisenden. Ramponierte und geschlagene, ermordete und in manchen Fällen selbstzerstörerische Seelen, freigesetzt durch Geräusche, hallten in seinem Schädel wider, blitzten in seinen Augenwinkeln auf, zermürbten seine Nerven, raubten ihm jede Energie.
Er ließ den Kopf zwischen den Knien hängen, dann hob er ihn langsam wieder.
Einen Moment lang hatte er sich ganz gut geschlagen. Hatte einen Fausthieb eingesteckt, war einer Ohrfeige ausgewichen. Doch jetzt fühlte er sich schwach. Er fühlte sich ungefähr so wie früher. Und er dachte an die Geräusche, die im Verborgenen lauerten. Unzählige böse Erinnerungen und schmerzliche Erfahrungen, die nur darauf warteten, sich in seinen Kopf zu schleusen und auf seinen Nervenenden herumzureiten.
Echt beschissen.
Er sah sich um und überlegte, die Pappen und Eierkartons wieder anzubringen. Allerdings hatte er den ganzen Krempel weggeworfen. Vielleicht konnte er sich neue besorgen, gleich morgen. Er musste sein Büchlein zurate ziehen, vielleicht ein bisschen Recherche betreiben, schließlich war er schon länger nicht mehr beim Wal-Mart gewesen, und dahinter fand man die ganzen guten Pappkartons.
Aber vielleicht hatte dort irgendwo in der Nähe ein Unfall stattgefunden, also musste er aufpassen.
Er hielt inne.
Nein.
Das mach ich nicht. Ich fange nicht wieder damit an. O nein.
Ich bin eins mit dem Universum.
Abgesehen von diesem kleinen Zwischenfall natürlich. Schließlich wird man nicht jeden Abend seine Freundin los, bezichtigt ihren Vater aufgrund einer Vision aus der Vergangenheit des Mordes, wird verhaftet, freigelassen und kriegt die Nummer der Polizistin, die einen nach Hause bringt.
Das jedenfalls war gar nicht so schlecht.
Natürlich hatte Kayla einfach nur nett sein wollen. So wie früher, hatte sie gesagt.
Rosa?
Was sollte das heißen? Wovon hatte sie geredet? Hatte er sie falsch verstanden?
Nein. Er war sich ziemlich sicher, dass sie »rosa« gesagt hatte.
Er dachte ein Weilchen über all das nach und fand, es sei das Beste, einen Spaziergang zu machen. Er zog sich an und nahm die Route, die er am besten kannte, entlang der Pecan Street. Er lief strammen Schrittes, die Hände in den Hosentaschen vergraben, eine kühle Brise um die Nase. Es war der lange Weg, nicht der kurze, aber als er das letzte Mal in seinen Notizen nachgesehen hatte, war die Strecke sauber gewesen.
Er ging den ihm wohlbekannten Weg entlang, kam zum Schnapsladen, blieb davor stehen und sah auf die Uhr. Der Laden schloss in einer Viertelstunde.
Manchmal musste man die Regeln brechen. Verdammt. Nach einem solchen Tag hatte er sich einen Drink verdient. Zwei Drinks hatte er sich verdient. Vielleicht sogar eine ganze Flasche. Flaschen. Bier, das war wohl das Richtige. Kein Gin, kein Whiskey oder irgendetwas in der Richtung. Rio Bravo , jawohl. Er konnte es so machen wie Dean. Bier anstelle des harten
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