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Blutiges Eis

Blutiges Eis

Titel: Blutiges Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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jenseits der Zimmerdecke gerichtet zu sein.
    Cardinal fand die Tabletten zwischen mehreren Fläschchen auf dem kleinen Nachttisch. Er schüttete sich zwei in die Handfläche und wollte den Kopf seines Vaters anheben.
    »Nein«, flüsterte Stan. »Keine Pillen mehr.«
    »Deine Lunge ist voller Wasser. Sie helfen dir, wieder Luft zu bekommen.«
    »Keine Pillen mehr.«
    »Dad, nur damit du besser Luft kriegst.«
    »Keine Pillen mehr.« Die Augen waren immer noch auf die Decke gerichtet, der Atem kam stockend und rasselnd.
    Catherine war zurück, völlig durchnässt. Mit ihr kam ein kalter Luftzug herein und füllte den Raum. »Das Eis ist unmöglich«, sagte sie. »Wir kriegen nicht mal die Wagentür auf.«
    In der Ferne war eine Sirene zu hören.
    »Macht nichts. Das muss der Krankenwagen sein. Dad will seine Tabletten nicht nehmen.«
    Catherine kam herüber und kniete sich auf der anderen Seite neben seinen Vater. »Was höre ich da? Du nimmst deine Pillen nicht?«
    Stan Cardinals schlaffe, nasse Lippen verzogen sich zur Andeutung eines Lächelns. »Willst du mir die Hölle heiß machen?«
    Catherine schüttelte den Kopf. Ihre Augen füllten sich, aber sie hielt die Tränen zurück. Sie fand die Hand des alten Mannes und nahm sie in ihre beiden Hände. Cardinal packte seinen Vater am Unterarm.
    »Das Einzige, was du je richtig gemacht hast«, sagte sein Vater. Die Worte kamen so langsam heraus, dass jede Satzmelodie verloren ging.
    »Und das wäre?«, fragte Cardinal. Er wollte nicht vor seinem Vater weinen.
    »Cathy.«
    »Ich weiß.« Cardinal drückte seinen Arm. »Dad, hör zu. Ich weiß, dass du ewig nicht mehr in der Kirche warst, aber –«
    »Keinen Priester.«
    »Bist du sicher? Wir können dir die Letzte Ölung geben lassen, wenn du willst.«
    »Keinen Priester.«
    Cardinal hörte, wie das Heulen der Sirene hinter dem Haus vorbeizog. Sie hatten die Stelle verpasst, an der sie abbiegen mussten. Er glaubte nicht, dass ein Sanitäter jetzt noch viel hätte ausrichten können. Oder auch ein Arzt.
    »John?«
    »Was, Dad?«
    »Sprich nur, Dad. Ich bin hier.«
    »Ich dachte nur, wir haben uns gut verstanden, meinst du nicht?«
    Cardinal schluckte. Sein Adamsapfel fühlte sich dreimal so dick an. »Ja, haben wir.«
    Cardinal war nicht sicher, was sein Vater als Nächstes sagte. Die Sirene kam Richtung Madonna Road zurück.
    »Ich möchte mich entschuldigen, für alles, was ich …«
    »Dad, du brauchst dich für gar nichts zu entschuldigen.«
    »Für alles, weißt du …«
    »Ich weiß. Ich mich auch.«
    »Und wofür?« Die Frage schien wie ein Mobile zwischen ihnen in der Luft zu schweben.
    »Dass ich nicht dafür gesorgt habe, dass du es so hast, wie du es wolltest, du weißt schon, so dass du bei alldem wenigstens zu Hause bist, statt …«
    »Nein, nein.« Dann musste sein Vater husten. Seine Hände schnellten hoch, als wollten sie einen schweren Gegenstand aufhalten, der auf ihn zu stürzen drohte, dann fielen sie wieder zu Boden.
    »Dad?« Cardinal rieb energisch seinen Arm, als könnte er, wenn er nur an dieser Stelle den Kreislauf anregte, den ganzen sterbenden Körper wiederbeleben. Catherine und Cardinal lehnten sich vor, um die Worte zu verstehen, die sich in dünne, gehauchte Vokale auflösten, Ahs und Ohs ohne Sinn. Dann verließ ihn der letzte Atemzug, und fast im selben Moment wurden seine Augen grau. Catherine lehnte sich vor und weinte. Cardinal setzte sich, wie betäubt, auf die Fersen zurück.
    Durch die Fenster blitzten Lampen, und sie hörten, wie Autotüren aufgemacht wurden und schwere Stiefel über das Eis herüberkamen. Dann standen die Sanitäter drinnen, suchtennach Lebenszeichen und bestätigten, dass Stan Cardinal tot war.
    »Tut mir wirklich leid, dass wir nicht eher hier waren«, sagte einer von ihnen. »Die Straßen sind diese Nacht ein echtes Problem. Rund um den Trout Lake sind Kabel runtergekommen.«
    »Ich weiß«, sagte Cardinal.
    »Ich müsste dann mal telefonieren. Der Coroner muss rauskommen und die Sterbeurkunde ausstellen.«
    »Okay.«
    Der Sanitäter hatte schon sein Handy aufgeklappt. »Ja, wir sind bei dem Herzinfarkt in der Madonna Road. Wir haben völligen Stillstand, keine Lebenszeichen. Können Sie uns den Coroner sofort rüberschicken? Danke.«
    Cardinal nahm irgendwie wahr, dass Catherine sich im Schein des Feuers bewegte. Jemand musste ein neues Holzscheit in den Ofen geschoben haben; er konnte sich nicht erinnern, es selber getan zu haben. Irgendwie hatte sie es

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