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Blutiges Eis

Blutiges Eis

Titel: Blutiges Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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geschafft, die Kinder in Kellys Zimmer zu verfrachten, ohne Mrs. Potipher aufzuwecken. Sie kochte Wasser und machte Tee für Sally und die Sanitäter. Sie traten in Cardinals Blickfeld und verschwanden wieder, gesichtslose Silhouetten in einer Unterwelt, in der alles weit entfernt war, die Stimmen nur ein schwaches Echo. Cardinal nahm einen Schluck Tee und verbrannte sich die Zunge.
    Ein Schwall kalte Luft und eine Menge Unruhe kam ins Haus, als Dr. Barnhouse hereinschneite, die schwarze Tasche in der Hand. Er kniete sich neben Stan Cardinal und hörte ihn lange mit dem Stethoskop ab. Schließlich sagte er: »Es ist kein Herzschlag da. Und keine Atmung.« Er sah auf die Uhr. »Todeseintritt: 2.45 Uhr.«
    Barnhouse packte sein Stethoskop ein und ließ die Tasche mit einem kurzen Klicken zuschnappen. Dann stand er mit ausgestreckter Hand vor Cardinal. Cardinal griff danachund fühlte, wie die trockene, weiße Hand des Doktors seine drückte.
    »Mein Beileid für Ihren Verlust, Detective Cardinal.«
    Es lag ein flehentlicher Ausdruck in den Augen des Arztes, als wollte er sagen: Hilf mir! Ich bin nicht sonderlich gut in so was! Während er ihn zur Tür begleitete, wollte Cardinal ihm beinahe Trost spenden, ihm sagen, es sei schon in Ordnung.
    Die Männer vom Krankenwagen gingen zu dem Toten.
    »Würden Sie uns noch ein paar Minuten mit ihm allein lassen?«
    Catherine hockte neben seinem Vater. Sie sah matt und erschöpft aus. Cardinal kniete sich noch einmal ihr gegenüber hin. Er konnte das Ausmaß seines Schmerzes immer noch nicht fassen. »Was wollte er sagen?«, fragte er. »Unmittelbar bevor er ging. Er hat versucht, etwas zu sagen, aber ich konnte es nicht verstehen.«
    »Er hat dir auf das, was du gesagt hast, geantwortet.«
    »Und was hab ich gesagt?«
    »Du hast gesagt, es täte dir leid. Es täte dir leid, dass er nicht zu Hause sterben konnte.«
    »Und was hat er geantwortet?«
    »Er hat gesagt: ›Ich bin zu Hause.‹«

27
     
    D ie ganze übrige Nacht hindurch fiel bis in die frühen Morgenstunden der Regen weiter in großen, schweren Tropfen, die jedes Mal mit einem hörbaren Schlag auf eine Oberfläche fielen. »Fallen« war vielleicht nicht das richtige Wort. Der Regen warf sich mit voller Wucht gegen jeden Wagen, jedes Haus und jede Straße. Es gab einen stechenden Schmerz, wo er die Haut traf, und man konnte die Eiskristalle in jedem Tropfen erkennen und zusehen, wie sie sich augenblicklich auf jede vereiste Windschutzscheibe und jeden spiegelglatten Bürgersteig aufpfropften.
    Salzstreufahrzeuge waren überall im Einsatz, bis jede Straße, die keine schwarze Glasfläche war, wie Zunder unter den Füßen knirschte. An den wenigen Autos, die im Schneckentempo die Straßen der Stadt durchstreiften, rasselten die Schneeketten. Die Stromkabel hingen unter dem Gewicht des Eises immer tiefer durch. Die Highways entlang standen die Strommasten grotesk schief.
    Bis neun Uhr morgens war die ganze Stadt ohne Elektrizität. Polizei- und Feuerwehrwache hatten Notstromgeneratoren, doch der im Polizeipräsidium schaltete sich immer wieder ab, und ein paar überarbeitete Mechaniker kamen immer wieder vom Dach und murmelten Flüche auf Französisch.
    Um zehn, elf herum klarte der Himmel auf, und die Sonne blendete. Eine Kaltfront hatte endlich die Warmfront verdrängt, und während der Regen aufhörte, stürzten die Temperaturen auf bis zu zwanzig Grad minus. Ohne Strom, ohne Heizung waren die Bewohner von Algonquin Bay jetzt ernsthaft in Gefahr. Die Schulen wurden geschlossen und zu improvisierten Schlafsälen umfunktioniert.
    Zwei Menschen starben. Ein Mann, der sein Abendessen im Haus gegrillt hatte, war an Kohlenmonoxid erstickt. Jemandmand anders starb in einem Feuer, das sich in der Christie Street ausbreitete, als ein Kerosinöfchen umgestoßen wurde.
    Im Polizeipräsidium wurde jeder Urlaub gestrichen. Alle Beamten wurden mobilisiert, um von Haus zu Haus zu gehen und Kinder sowie alte Menschen in die Schulen zu evakuieren. McLeods Protestschreie waren von Chouinards Büro im dritten Stock bis zum Fitness-Raum im Keller zu hören. »Ich bin Ermittler, verflucht noch mal, kein Boy Scout. Was kommt als Nächstes – vielleicht Katzen von Bäumen runterholen?«
    Cardinal erwachte spät. Zuerst dachte er, dass ein großer Hund auf seiner Brust schlief, doch dann merkte er, dass der Tod seines Vaters auf ihm lastete. Er rief Chouinard an und teilte ihm mit, dass sein Vater gestorben sei. Chouinard war mitfühlend

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