Blutiges Eis
gesagt? Ich hasse diesen Bau.«
Richter William Westley war ein hochgewachsener, hagerer Mann mit einem habichtartigen Gesicht. Sein Gang – eine eigentümliche Mischung aus gebeugtem Rücken und federndem Schritt – war für die meisten bei Gericht eine Quelle der Erheiterung, und seine Stimme, schwerfällig und sonor, wurde gerne imitiert.
Westley blickte von dem Informationsblatt, das Cardinal ausgefüllt und unterschrieben hatte, auf. »Haben Sie auch nur die geringste Ahnung, wer Paul Laroche zufällig ist?«, sagte er.
»Er ist der Hauptverdächtige in einer Mordermittlung.«
»Paul Laroche ist nicht nur eine Stütze dieser Gemeinde. Paul Laroche gehört die Hälfte der Häuser in dieser Stadt. Paul Laroche leitet den hiesigen Wahlkampf für den Premier dieser Provinz, falls das Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein sollte. Und außerdem ist Paul Laroche, falls auch das Ihrer Aufmerksamkeit entgangen ist, der Golfspezi und Busenfreund des Premiers.«
»Ich weiß, Euer Ehren«, sagte Cardinal. »Aber hören Sie sich bitte an, was wir haben.«
Westley schmiegte sein knöchernes Kinn in die knöcherneHand und mimte den geduldigen Zuhörer. Je mehr Cardinal versuchte, die Verbindungen als zwingend darzustellen, desto hohler klangen sie.
»Und das ist die ganze Bilanz zu Ihrem Fall? Die ganze lückenlose Beweiskette?«
»Na ja, wir hoffen, dass sich noch mehr findet.«
»Detective, damit würde ich Ihnen nicht mal eine Verfügung für einen Stadtstreicher geben. Ehrlich gesagt, bin ich sprachlos, dass Sie dafür extra hergekommen sind.«
»So bin ich nun mal«, sagte Cardinal. »Ein unverbesserlicher Optimist.«
»Überzeugen Sie mich mit DNA, dem einen oder anderen Fingerabdruck, irgendeinem ballistischen Beweis.«
»Geben Sie mir eine Verfügung, dass Laroche eine Blutprobe abliefern muss, und Sie haben Ihre DNA.«
»Für eine solche Verfügung haben Sie nicht genug in der Hand. Sie haben das Bild einer Polizei-Zeichnerin davon, wie ein früheres FLQ-Mitglied nach langer, langer Zeit vielleicht aussieht. Tut mir leid, Detective. Bringen Sie mir das kleinste Indiz dafür, das Paul Laroche mit dem Mord an Winter Cates oder dem an Miles Shackley in Verbindung bringt, und Sie bekommen von mir Ihre Verfügung persönlich ausgehändigt. Bis jetzt haben Sie nichts.«
»Und Madeleine Ferrier?«, versuchte Cardinal, die Ereignisse anno 1970 mit dem Mord an Laroches Nachbarin zu verknüpfen.
Westley ließ ihn nicht ausreden. »Ob Sie’s glauben oder nicht, Detective, ich verstehe durchaus, welche Beweisführung Ihnen vorschwebt, ich sage Ihnen lediglich, dass Sie bis jetzt noch keinen Beweis geführt haben. Jedenfalls nicht zu meiner Zufriedenheit und ganz gewiss nicht zur Zufriedenheit irgendeines Gerichts in Ontario.«
»Aber wir wissen, dass er es war, Euer Ehren. Er ist ein mächtiger Mann, zugegeben, aber wir wissen, dass er es war.«
»So ist das nun mal im Leben, fürchte ich. Nach allem, was Sie mir geschildert haben, besteht durchaus die Möglichkeit, dass Yves Grenelle Raoul Duquette getötet hat. Was Sie nicht beweisen können – korrigiere –, wofür Sie nicht einmal den Hauch eines Beweises erbringen können, ist, dass Paul Laroche Yves Grenelle ist.«
»Gehen wir eben zu einem anderen Richter«, sagte Delorme, als Cardinal die Unterredung zusammenfasste. »Gagnon würde uns bestimmt die Verfügung geben, wetten?«
»Es gibt nichts, was ich lieber täte, glauben Sie mir. Aber wenn wir jetzt bei den Richtern hausieren gehen, und das Gericht erfährt davon, schmeißen sie uns hochkant raus.«
»Und wenn wir ganz zufällig ein Glas finden, aus dem Laroche getrunken hat? Oder eine Zigarre, die er geraucht hat?«
»Ohne einen Durchsuchungsbefehl? Das fällt unter unerlaubte Durchsuchung und Beschlagnahme.«
»Meinetwegen, aber nehmen wir mal an, wir beschatten ihn. Früher oder später wirft er irgendetwas weg oder lässt etwas liegen – sagen wir, in einem Restaurant – etwas, das wir auf DNA untersuchen können. Ein öffentlicher Ort, wo wir keine Privatsphäre verletzen. Dafür bräuchten wir keine Verfügung.«
»Chouinard wird uns nicht erlauben, Laroche zu beschatten. Nicht mit dem, was wir bis jetzt haben.«
»Ich frag ihn.«
Delorme ging zu Chouinards Büro. Als sie nach ein paar Minuten wieder herauskam, sprach ihr Gesicht Bände, so dass Cardinal es nicht übers Herz brachte, sie zu fragen, was der Detective Sergeant gesagt hatte.
Den Nachmittag brachten sie damit zu,
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