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Blutiges Schweigen

Blutiges Schweigen

Titel: Blutiges Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Weaver
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wieder zu mir gekommen.«
    »Und was geschah dann?«
    »Das Wasser war ziemlich reißend. Ich weiß noch, wie er mir nachgeblickt hat, als der Bach mich wegschwemmte. Anfangs ist er mir nachgelaufen, doch als er festgestellt hat, dass das Wasser zu schnell fließt, blieb er stehen. Alles war wie in einem Nebel oder so, als ob man es durch Gaze betrachtet. Ich konnte Bäume erkennen und erinnere mich daran, dass der Pfad nach einer Weile zu Ende war. Dann waren da noch mehr Beton und Bäume. Und dann muss es eine kleine Biegung gegeben haben, denn«  – Sona hielt inne und rieb sich die Narbe auf der Kopfhaut  – »nach einer Weile war er nicht mehr zu sehen.«

    »Sonst noch etwas?«, fragte Healy.
    Ihre Augen verengten sich, als sie weiter in ihrem Gedächtnis kramte.
    »Alles ist gut, Sona«, sagte ich, um einen möglichst wenig erwartungsvollen Ton bemüht. »Es ist wirklich in Ordnung, wenn Sie sich nicht an mehr erinnern können.«
    »Da könnte ein Lagerhaus gewesen sein«, fuhr sie leise fort, »aber ich weiß nur noch, dass die Strömung wirklich stark war, und während sie mich wegtrug, habe ich große Schmerzen bekommen. Wahrscheinlich bin ich dann wieder ohnmächtig geworden.«
    »Sie wurden in der Nähe der Royal Docks gefunden, richtig?«
    Sie nickte. »Man nimmt an, dass das Nachthemd, das ich auf seinen Befehl hin anziehen musste, sich aufgebläht und mir Auftrieb gegeben hat. Jedenfalls hat die Strömung mich bis in die Themse geschwemmt.«
    Aus einem Seitenarm, was hieß, dass nur zwei Bäche in Frage kamen: Barking Creek oder Bow Creek. Beide mündeten rechts und links von der Stelle, wo Sona gefunden worden war, in die Themse. Der Barking Creek hätte die Nachforschungen einfacher gemacht: Der Bach verlief durch die Stadt, teilte Creekmouth und Beckton in zwei Hälften und folgte dann dem North Circular nach Ilford. In Barking selbst angekommen, floss er in einer relativ geraden Linie nach Norden. Mit dem Bow Creek war es eine andere Sache: Das etwa drei Kilometer lange und von den Gezeiten abhängige Flussdelta endete am River Lee und ging von dort aus in viele Kilometer verästelte Kanäle über. Da würde Sonas vage Beschreibung nicht weiterhelfen. Je mehr man sich der Themse näherte, desto größer wurde die Anzahl der Industriebetriebe, die sich entlang des Wassers angesiedelt hatten, bis nichts mehr zu sehen war als Lagerhauswände aus
Wellblech und nagelneue, auf den Trümmern ihrer Vorgänger erbaute Wohnsiedlungen. Dass das Haus unbewohnt war, war ein nützlicher Hinweis. Allerdings war das Gewässernetz der Stadt ein Labyrinth. Jeden Seitenarm abzuschreiten würde Monate dauern, selbst wenn man sich auf die Strecke beschränkte, die Sona vermutlich mithilfe der Strömung zurückgelegt hatte.
    Ich wandte mich an Healy. »Hat die Polizei das Haus schon gefunden?«
    Er blickte zwischen Sona und mir hin und her und schüttelte den Kopf. »Nein. Sie sind noch nicht einmal nah dran.« Der Zusatz zu dieser Äußerung stand ihm ins Gesicht geschrieben: Und das liegt daran, dass sie bis jetzt noch nie so viel geredet hat wie heute.
    Als ich mich wieder Sona zuwandte, wirkte sie müde und bedeckte eine Gesichtshälfte mit der Hand. Im nächsten Moment summte ihr Mobiltelefon, das auf dem Sofa neben ihr lag. Sie warf einen Blick darauf. »Es ist DCI Hart.«
    »Am besten gehen Sie ran«, sagte ich.
    »Das halte ich für keine gute Idee«, widersprach Healy.
    »Warum, glauben Sie, ruft die Polizei an?«, fragte ich ihn. »Weil die glauben, dass wir ihr einen Besuch abstatten. Vermutlich sind sie sogar schon unterwegs. Es ist zu spät. Sie können das Gespräch ruhig annehmen«, sagte ich zu Sona.
    Sie tat es. »Hallo?«
    »Sona, hier spricht Jamie Hart.«
    Wir konnten mithören. Sie sah mich an. Ich lächelte ihr zu und bedeutete ihr mit einem Nicken, fortzufahren.
    »Ich wollte Ihnen nur sagen, dass wir unterwegs zu Ihnen sind.«
    Ich blickte erst Healy und dann Sona an.
    Healy stand auf, marschierte zu dem Fenster, das auf den Hof hinausging, öffnete die Vorhänge einen Spalt weit und
beugte sich zur Scheibe vor, um den Pfad, der zur Straße führte, beobachten zu können.
    »In etwa zwei Minuten sind wir da«, ergänzte Hart.
    »Prima.«
    »Dann also bis gleich.«
    Das Telefonat war zu Ende.
    »Wir müssen los«, stellte Healy fest. Als ich Sona betrachtete, bemerkte ich, dass sie sich allmählich Gedanken darüber machte, wo sie wohl hineingeraten sein mochte und ob es richtig gewesen war,

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