Blutiges Schweigen
ineinander, schoben sich unter das Knie und zogen es an den Körper. Es war eine Abwehrgeste, mit der sie unbewusst eine Barriere zwischen uns errichtete. Dann schaute sie kurz ins Wohnzimmer hinein. Im nächsten Moment richteten sich ihre Augen wieder auf uns.
»Gut«, sagte sie leise, »dann sollten wir wohl am besten mit Mark anfangen.«
59
Ganz langsam und in kleinen Etappen erzählte Sona uns, wie sie Markham kennengelernt hatte. Sie war Empfangssekretärin im St.-John’s-Krankenhaus, wo Markham gearbeitet hatte, und er hatte sie einfach angesprochen. Er hatte ihr anvertraut, dass er den Namen Daniel verabscheute, weshalb ihn die meisten im Krankenhaus Mark nannten. Da es unwahrscheinlich war, dass er seine Identität verschleiern wollte – schließlich kannten alle im Jugendclub seinen wirklichen Namen –, hatte er Sona vermutlich ausnahmsweise die Wahrheit gesagt.
Bestimmt hatte er sie vor diesem Tag keines Blickes gewürdigt, obwohl sie in derselben Einrichtung tätig waren. Doch dann war sie Dr. Glas aufgefallen, sicherlich, weil er Markham ins Krankenhaus gefolgt war. Und so hatte er Markham angewiesen, sich an sie heranzumachen. Blondes Haar, blaue Augen. Sie passte genau in sein Beuteschema.
Sona schilderte uns, dass Markham anfangs nervös und schüchtern gewesen sei, fast so, als fehle ihm die Erfahrung mit Frauen. Aber in Wahrheit war es keine Schüchternheit gewesen, sondern die grauenhafte Vorstellung, wieder eine Frau einem Psychopathen ans Messer zu liefern.
»Erinnern Sie sich an den Tag, als er Sie angegriffen hat?«, fragte Healy.
Sie verzog das Gesicht und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
»Nur dunkel«, erwiderte sie. »Er hat mich zu einem Picknick eingeladen, weil ich Geburtstag hatte. Vermutlich hat er mich unter Drogen gesetzt, denn ich habe mich bei unserer Ankunft ein wenig benebelt gefühlt. So als hätte ich Kopfschmerzen. Ein Druckgefühl zwischen den Augen.«
»Wissen Sie noch, wo Sie hingefahren sind?«
Sona schüttelte den Kopf. »Er hat mir die Augen verbunden. Aber ich hatte keine Angst. Ich weiß, dass das mit dem Augenverbinden seltsam klingt, aber so war es nicht. Zumindest hat es sich nicht so angefühlt. Er sagte, er wolle mich zu meinem Geburtstag überraschen. Ich habe ihm absolut vertraut. Schließlich waren wir schon seit fast einem halben Jahr zusammen.«
Fast einem halben Jahr. Das hieß, dass Glas Markham nur wenige Tage nach Megans Entführung auf Sona angesetzt hatte.
»Was passierte, nachdem die Augenbinde abgenommen wurde?«, erkundigte sich Healy.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich erinnere mich nur noch an Bruchstücke, zum Beispiel daran, dass er eine Decke für uns ausgebreitet hat. Er hatte einen Picknickkorb mitgebracht. Und ich weiß noch …« Sie hielt inne. In ihren Augen flackerte es. »Nachdem er mich niedergeschlagen hatte … ich habe zu ihm hinaufgeschaut, und da hat er etwas gesagt.«
»Was hat er gesagt?«
»Er sagte: ›Ich kann das nicht mehr.‹«
Wir nickten beide, schwiegen aber.
»Und als ich wieder aufgewacht bin, lag ich in einem Erdloch.«
Sona verstummte. Sie starrte rechts von uns ins Leere und versuchte, das Dunkel in ihrem Gedächtnis zu durchdringen. Sie war drei Wochen nach ihrer Entführung gefunden worden. Die Forensiker hatten ihr zwar Urinproben abgenommen, doch normalerweise ließen sich verdächtige Substanzen nur innerhalb der ersten zweiundsiebzig Stunden bestimmen. Deshalb konnte die Polizei nur mutmaßen, was den Gedächtnisschwund ausgelöst haben mochte. Es konnte Rohypnol gewesen sein, was auch die Kopfschmerzen und die Erinnerungslücken erklärt hätte. Vielleicht war es ja auch etwas anderes. Schließlich war Glas Arzt und wusste sicher, welche Droge wie wirkte und wie sich seine Pläne damit unterstützen ließen.
»Wir wollen uns noch einmal kurz mit dem Picknick beschäftigen«, sagte Healy. »Wissen Sie noch, wie es dort aussah? Es macht nichts, ob Ihnen das Detail banal oder unwichtig vorkommt.«
»Da ist zum Großteil gar nichts mehr.«
»Sie haben eine Decke erwähnt«, wandte ich ein. »Waren da viele Bäume?«
Sie blickte mich an. »Ich bin nicht sicher.«
»Wir glauben, dass er Sie in einen Wald namens Hark’s Hill
Woods gebracht hat. Haben Sie diesen Namen schon einmal gehört? Hat Markham vielleicht davon gesprochen?«
Schweigen. Sie kniff die Augen zusammen und überlegte angestrengt.
Nach einer Weile schüttelte sie den Kopf. »Tut mir leid.«
»Schon gut«,
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