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Blutiges Schweigen

Blutiges Schweigen

Titel: Blutiges Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Weaver
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verwandelt. Healy, der einen Werkzeugkasten im Kofferraum hatte, hatte eine Zange mitgenommen. Nun ging er vor dem Zaun in die Knie, begann, daran herumzuzwicken, und bog ihn nach oben, bis ein Loch entstand. Fünf Minuten später war die Lücke groß genug, um unsere Hände hineinstecken und den Maschendraht wegdrücken zu können.
    Und nach einer weiteren Minute waren wir auf der anderen Seite.
    An seinem nördlichen Rand war der Wald genauso dicht wie am südlichen. Nur, dass es hier keinen Pfad gab. Zwischen den Baumstämmen hindurch konnten wir etwa fünfundzwanzig Meter weit sehen und erkannten eine Lichtung, in der sich ein grauer Dunstschleier gesammelt hatte. Ich marschierte vorneweg über den unebenen Untergrund. Dichtes Gestrüpp streifte unsere Beine, taufeuchtes Laub schlug uns ins Gesicht. Über der Lichtung war das Blätterdach durchlässiger. Der Himmel gewann allmählich an Farbe.
    Healy schob einen tief hängenden Zweig beiseite und trat neben mich. Uns bot sich ein düsteres Bild: dicht gedrängte Baumstämme und kaum genug Abstand, um erkennen zu können, was sich dazwischen befand. »Nun verstehe ich, was Sie über diesen Wald gesagt haben«, meinte er leise. Ich war nicht sicher, ob er damit die überbordende Vegetation
oder die bedrückende Atmosphäre meinte. Wie beim ersten Mal schienen die Temperaturen zu sinken, je tiefer wir in den Wald hineinkamen. Außerdem war da ein stetes Hintergrundgeräusch: ein Wind, der in den Bäumen rauschte.
    Allerdings klang es hin und wieder auch wie eine menschliche Stimme.
    Vorsichtig pirschten wir uns weiter in Richtung Süden. Das Gestrüpp wurde immer undurchdringlicher. Außerdem nahm die Dunkelheit zu, weil Blätterdach, Baumstämme und Äste das Tageslicht aussperrten. Nach einer Weile wucherten die Pflanzen so dicht, dass wir umkehren mussten. Wir gingen ein Stück zurück und versuchten es an einer anderen Stelle noch einmal. Hier gelang es der Morgensonne, ihre Strahlen wie kleine Pfeile durch den Bewuchs zu schicken.
    Und dann stießen wir auf die Mauer.
    Es war, als wäre sie plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht. Ich hatte sie mir grauweiß vorgestellt, da sie ja erst in den letzten zehn bis zwanzig Jahren gebaut worden war. Doch sie war fast schwarz, schmutzig vom Alter und mit Schlamm und Moos verkrustet, sodass sie mindestens vierzig Jahre alt zu sein schien. Steine waren herausgefallen. Es gab auch ein wenig Graffiti, allerdings nicht viel. Offenbar wagten sich selbst abenteuerlustige Jugendliche nicht so weit vor. Als ich die Mauer berührte, blieben Staub und eine klebrige, harzähnliche Masse an meiner Hand haften. Ich blickte auf. Über uns erhoben sich riesige Föhren. Alte Zapfen lagen zu unseren Füßen.
    Knack .
    Wir drehten uns um und spähten in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Healy sah mich an und schaute dann wieder in die Dämmerung. »Was war das?«, fragte er leise.
    Ich antwortete nicht, sondern wartete darauf, dass das Geräusch sich wiederholte. Doch nichts geschah. Stattdessen senkte sich ein unheilverkündendes Schweigen über die Umgebung.
Für einen Moment verstummte die Welt um uns herum, sodass ich nur noch Healys Atem hörte. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ich war schon an Orten gewesen, wo Wände, Straßen und die zurückgebliebenen Menschen Todesstimmung verströmten. Doch so etwas hatte ich noch nie erlebt. Eigentlich glaubte ich nicht an Gespenster. Aber ganz gleich, was hier auch geschehen oder vergraben sein mochte, es hatte seine Spuren hinterlassen.
    Ich wandte mich um, hielt mich am Rand der Mauer fest und zog mich hoch.
    Dann blickte ich hinüber.
    Direkt unterhalb von mir befand sich der Bach, wie Sona es beschrieben hatte. Er war nicht ganz zwei Meter breit und erstaunlich reißend. Das gurgelnde und plätschernde Wasser hatte einen Rechtsdrall. Am anderen Ufer verlief der unwegsame Pfad, wo Sona ins Wasser gefallen war. Es sah ganz danach aus, als habe dort auch einmal eine Mauer, vielleicht die Begrenzung eines Grundstücks, gestanden. Rote Backsteinstücke ragten aus Schlamm und Geröll. Auf der anderen Seite des Pfads am gegenüberliegenden Ufer erhoben sich Bäume aus dem Boden wie dicke Unterarme, die nach den Wolken griffen. Und zwischen ihnen, eingewachsen von der Natur, waren die Überreste der Ovlan Road zu erkennen. Und das von Sona geschilderte Haus.
    Vier Wände. Kein Dach. Ein dunkles, leeres Inneres.
    Ich kletterte auf die Mauerkrone und wartete auf Healy. Er war zwar größer

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