Blutiges Schweigen
und schwerer, allerdings erstaunlich gelenkig. »Offenbar müssen wir springen«, sagte ich zu ihm. Er machte keinen sehr begeisterten Eindruck.
Ich peilte ein Grasbüschel ein Stück links vor mir an und traf es beinahe. Der Aufprall war zwar hart, aber nicht schmerzhaft. Ich stand auf und sah Healy an. Er sondierte die Lage. Einen halben Meter rechts oder links von der Stelle, wo
ich aufgekommen war, und er würde auf Ziegeln oder Steinen landen und sich womöglich den Knöchel brechen. Er warf einen Blick auf mich und dann wieder auf die anvisierte Stelle. Dann machte er einen Satz über den Bach. Bei der Landung hörte ich einen dumpfen Knall: Haut, Knochen und Gelenke kamen auf dem Boden auf. Schlamm und Steinchen spritzten.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte ich mich.
Er nickte und bewegte sich vorsichtig. »Ich werd’s überleben.«
Aus der Nähe wirkte das Haus noch größer und bedrohlicher als zuvor. Die Öffnung in der Fassade war ein Maul. Die verbliebenen Fenster waren Augen. Geschwärztes Moos quoll aus dem Backstein und wucherte rings um die Eingänge, als hätte das Haus seine Erinnerungen hervorgewürgt. Bäume lauerten und neigten sich nach vorn wie vom Gebäude angezogen. Und außerdem herrschte plötzlich wieder Totenstille. Der Bach. Das Blätterrauschen.
Aber sonst nichts.
Ich nahm Healys Taschenlampe aus der Jackentasche, schaltete sie ein und leuchtete in die Dunkelheit. Der Lichtkegel glitt durch den Raum. Oben gab es zwei längst zerbrochene Fenster. Riesige Äste der Bäume, die hinter dem Haus wuchsen, ragten hinein. Das Originalparkett war zwar noch zum Teil erhalten, jedoch von abgebrochenen Ästen und Mauerteilen zerkratzt und zersplittert. Überall lag Schutt herum.
Drinnen war es sogar noch kälter. Außerdem war da inzwischen ein Geräusch. Sehr weit entfernt, aber dennoch auszumachen. Ich drehte mich zu Healy um. »Haben Sie das auch gehört?«
Er trat einen Schritt vor und lauschte.
Der Wind strich durch das Haus und verzerrte kurz das Geräusch. Als er sich wieder legte, ertönte es zum zweiten Mal.
»Ein Klicken«, raunte Healy.
Ich ging in die Hocke und richtete die Taschenlampe auf die Mitte des Raums. Überall hatten sich Schutthaufen gebildet. Links von mir befand sich die Wand, die früher Küche und Wohnzimmer getrennt hatte. Noch mehr Geröll. Backsteine. Aus einem Riss im Boden wuchs Gras. Rechts waren die Überreste des Wohnzimmers zu erkennen: ein in die Wand eingelassener Kamin, einige Dielenbretter, doch zum Großteil nur der Hohlraum darunter. Ich stand auf und ging zu einer Lücke im Parkett hinüber und leuchtete mit der Taschenlampe hinein. Eine Ratte huschte über den Boden. Unmengen von Staub und Dreck. Mauersteine.
Und verborgen in der Dunkelheit: der Deckel einer Luke.
64
Wir sprangen in den Hohlraum unter den Dielenbrettern. Alles hier schien jahrzehntealt zu sein, doch der Lukendeckel war offenbar neu und schwarz lackiert. In der Mitte war er mit einem T-förmigen Hebel, eingelassen in eine Einbuchtung, versehen. Ich umfasste ihn und legte ihn um. Ein Quietschen. Dann begann er, sich zu bewegen. Auf der anderen Seite klickte es weiter. Der Hebel drehte sich. Healy und ich schwiegen.
Endlich rastete der Hebel ein. Es klapperte leise.
Ich sah Healy an, nickte und hob den Deckel hoch. Er war zwar schwer, ließ sich aber verhältnismäßig mühelos bewegen. Ich schob ihn zur Seite und legte ihn vorsichtig auf dem am Boden verstreuten Schutt ab. Dann spähten wir in das Loch hinab.
Unmittelbar unterhalb der Kante hing ein Lautsprecher, aus dem ein statisches Knistern kam. Daneben war ein kleiner Plastikkasten in die Wand eingelassen. Er war etwa so
groß wie ein Zehnpfundschein und mit zwei LED-Lämpchen versehen. Eines war rot, das andere grün. Eine Alarmanlage. Das grüne Lämpchen leuchtete, und das Klicken war mittlerweise schneller geworden. Vermutlich war das Licht von Rot auf Grün umgesprungen, sobald ich den Deckel entfernt hatte. Und das Klicken bedeutete offenbar, dass irgendwo ein Alarmsignal aktiviert worden war.
Er weiß, dass wir kommen .
Eine Leiter führte hinunter in den dunklen Kreis. Ich leuchtete hinein. Unten konnte ich einen lackierten Fußboden erkennen, allerdings nicht viel mehr. Vielleicht auch einen Schrank und rechts davon eine Tür. Allerdings machte die Taschenlampe allmählich schlapp. Anscheinend waren die Batterien nach dem langen Einsatz in Markhams Haus fast leer, denn der Lichtkegel begann zu verblassen.
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