Blutiges Schweigen
längeren Teil des Flurs zu beleuchten.«
Er nickte und warf die Taschenlampe auf den Boden. Dann hob er die Pistole, legte die linke Hand unter den Griff und klemmte sich das Telefon zwischen die Zähne. Das Tastenfeld zeigte nach außen, das Licht des Displays war blassorange. Anspannung und Furcht zeigten sich auf Healys Gesicht.
Wir fingen an zu laufen und rannten um die Ecke. Unsere Schritte hallten den Flur entlang wie ein gedämpfter Trommelwirbel. Am Ende des Korridors befanden sich zwei Türen: Die erste war schwer und alt, mit Beschlägen, die in unsere Richtung wiesen, die rechte Tür schien ebenfalls von einem U-Boot zu stammen. Als wir sie erreicht hatten, streckte ich die Hand nach dem Griff aus. Healys Blick huschte zu dem Lautsprecher über uns und dann zurück zu mir. Wir spürten es beide. Ein Erschaudern. Ein tief sitzendes Unbehagen. Dann umfasste ich den Griff und stieß die Tür auf.
Sie führte in einen schmalen, etwa zwanzig Meter langen
Raum. Die Steinwände waren uneben. Die Decke war an manchen Stellen nur drei Meter hoch. Außerdem war es kalt. Der Boden unter unseren Füßen war mit grünem Linoleum belegt. Über uns leuchteten Neonröhren. Bis auf ein Krankenhausbett in der Mitte war der Raum völlig leer. Außen herum war eine vollständige medizinische Ausrüstung angeordnet: ein EKG-Gerät, ein Infusionsständer mit einem Beutel, der Salzlösung enthielt, und Elektroden, die um einen der Bettpfosten gewickelt waren. Daneben stand ein Instrumentenwagen mit Utensilien darauf: Chirurgenschere, Skalpelle, ein Hammer, Pinzetten, Zangen. Der Krankenhausteil des Raums war makellos sauber und hell erleuchtet. Der Rest wirkte eher wie im Mittelalter, ein Relikt aus den Ruinen eines verfallenen Schlosses.
Ich schlich weiter in den Raum hinein und konnte drei zum Teil im Schatten liegende Türen erkennen. Keine davon hatte eine Klinke. Nur Schlüssellöcher. Hinter der, die mir am nächsten war, befand sich Megan. Während ich hinlief, schaute ich mich nach Healy um. Allerdings war er nicht da. Ich konnte sehen, dass er die Tür mit den Beschlägen geöffnet hatte. Vor ihm erhob sich Dunkelheit wie eine schwarze Wand; ein klaffendes Maul.
»Healy, warten Sie.«
Er starrte mich nur verdattert an, als wisse er plötzlich nicht mehr, was er hier tat. Sein Finger am Abzug zuckte.
»Gehen Sie da nicht allein rein.«
Seine Augen wanderten zwischen dem schwarzen Loch und mir hin und her. Er wusste, dass ich recht hatte und dass es besser war, auf Verstärkung zu warten. Doch stattdessen hob er die Pistole und trat durch die Tür. Eine Sekunde später hatte die Finsternis ihn verschluckt. Nur das Leuchten seines Telefons war zu erkennen.
Scheiße.
Ich drehte mich wieder zu dem Zimmer um, in dem sich Megan befand. Die Tür war abgeschlossen, bewegte sich aber, als ich die Hand dagegenpresste. Sie fühlte sich billig an. So als bestünde sie nicht aus massivem Holz, sondern aus zwei Platten mit einem Hohlraum dazwischen.
Ich wich ein paar Schritte zurück und warf einen Blick in die Dunkelheit, in der Healy verschwunden war. Ich musste zu ihm, um ihm den Rücken zu stärken. Doch Megan brauchte mich noch dringender. Healy konnte im Gegensatz zu ihr auf sich selbst aufpassen. Inzwischen wurde sie seit sechs Monaten vermisst, und jetzt trennte uns nur noch ein Stück Holz.
Ich machte noch einen Schritt weg von der Tür.
Und dann stieß ich mit der Schulter dagegen.
Sie löste sich krachend aus dem Rahmen und knallte mit voller Wucht gegen die Wand. Megan rührte sich nicht.
»Megan?«
Ich ging um das Bett herum und betrachtete ihr Gesicht. »Megan?«
Keine Reaktion. Sie stand unter starken Betäubungsmitteln, atmete aber regelmäßig. Ich hielt das Handy mit den Zähnen fest, trat näher ans Bett heran und hob sie hoch. Selbst im achten Schwangerschaftsmonat war sie nicht sehr schwer. Als ich sie an mich zog, sank ihr Kopf an meine Brust, und ich spürte ihren gewölbten Bauch.
Ich eilte aus dem weißen Zimmer in den Flur hinaus. Kurz blieb ich an der Tür mit den Beschlägen stehen. Aus der Dunkelheit war kein Laut zu hören. Kein Licht war zu sehen. Nichts rührte sich. Beinahe hätte ich nach Healy gerufen, spürte aber, wie mir sein Name auf den Lippen erstarb, als das statische Knistern um mich herum lauter und leiser wurde. Tief in meinem Innersten wusste ich, dass hier etwas im Argen lag. Bis jetzt war es viel zu einfach gewesen. Alles war
viel zu einfach. Doch als ich Megan ansah,
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