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Blutiges Schweigen

Blutiges Schweigen

Titel: Blutiges Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Weaver
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schlitze ihn jetzt auf, David.«
    Die Übertragung endete.

66
    Dreißig Sekunden später waren wir an der Tür mit den Beschlägen und traten in die Dunkelheit. Ich hatte Megan mitgenommen. Ihr Atem  – leise, abgehackt, voller Angst  – dicht
an meinem Ohr. Ich wusste, wie riskant es war, doch ich musste sie und ihr Baby in Sicherheit bringen. Und nun musste ich auch noch Healy helfen.
    Als wir weitergingen, spürte ich, dass sie zögerte, und sah mich um. Sie war starr vor Angst. Ihre geweiteten Augen glänzten im blauen Schein meines Telefons. Der Raum war groß, die Decke so hoch, dass der Lichtkegel sie nicht erreichte. In diesem Teil des Tunnelsystems gab es keine Lautsprecher. Als wir unseren Weg fortsetzten, verwandelte sich das statische Knistern in ein leises Summen, das an elektrischen Strom denken ließ. Außerdem war es eiskalt. Auf Knöchelhöhe und an Gesicht und Händen spürte ich Zugluft.
    Zugluft. Das bedeutet einen Ausgang.
    Etwa fünf Meter rechts von uns befand sich eine Wand aus rotem Backstein, vor der Holzkisten gestapelt waren. Wo der Raum links von uns endete, konnten wir nicht erkennen. Vor uns führte ein Weg zwischen weiteren Kisten hindurch. Einige waren zerbrochen, manche leer, andere noch nicht einmal geöffnet. Wir waren schätzungsweise vierzig Sekunden lang gegangen, als das Summen lauter wurde. Es handelte sich eindeutig um elektrischen Strom  – und der betrieb offenbar ein ziemlich großes Gerät.
    Ich blickte nach links; der Lichtschein meines Telefons folgte.
    Im nächsten Moment hatte ich das Gefühl, als ob mir das Herz stehenbliebe.
    Aus der Dunkelheit trat eine ordentlich aufgereihte Gruppe von Schaufensterpuppen hervor. Alle sahen uns an. Einigen fehlten Arme. Anderen Beine. Sie waren alle weiblich, splitternackt und mit einer Metallstange an einem Sockel befestigt.
    Und alle trugen Latexmasken.
    Immer wieder Milton Sykes. Jede Maske ein wenig abgewandelt
und der Prototyp für die nächste. Veränderte Nase. Größeres Kinn. Kleineres Kinn. Gewölbte Stirn. Verschiedene Hautfarben. Manche Masken waren zerrissen und hafteten nicht so gut. Einige wirkten im Dämmerlicht absolut realistisch, nur die Schaufensterpuppe darunter war verräterisch. Megan setzte zu einem Schrei an, presste sich aber die Hand auf den Mund, sodass man nur ein ersticktes Keuchen hörte.
    Links von uns erklang ein Geräusch.
    Ich wirbelte herum und hob das Telefon. Der blaue Lichtkegel endete in etwa sieben Metern Entfernung. Ich konnte sehen, wie der lackierte Betonboden in der Dunkelheit verschwand. Ganz am Rand des Lichtkegels erkannte ich eine Art Sockel. Ich machte ein paar Schritte vorwärts und zog Megan mit. Das blaue Licht erfasste den Gegenstand. Noch ein Schritt. Und noch einer. Eindeutig ein Sockel.
    Und dann bemerkte ich, was darauf stand.
    Ein Sarg.
    Er war ganz und gar durchsichtig. Gehärtetes Plastik. Im Lichtschein des Telefons reflektierten alle Oberflächen und Kanten. In dem Sarg konnte ich zwei Blöcke erkennen. Nur, dass es keine Blöcke waren, sondern Füße. Ich bewegte das Telefon den Sarg entlang: Füße, Beine, Hände, Arme. Es war eine Frau. Ihr Kopf war nach rechts, also in unsere Richtung, gewandt. Blondes Haar umgab ihn. Sie war nackt und schwamm in Formalin.
    »Verdammte Scheiße«, flüsterte ich und trat näher heran, um von oben in den Sarg zu schauen. Ihre Haut war zwar weiß gebleicht, aber sonst hätte sie auch im Meer treiben können. Abgesehen von ihrem Haar war sie völlig starr. Der Körper war gehärtet, die Arme waren ausgebreitet, die Beine zusammengepresst, die Augen offen. Vor ihrem Tod war sie operiert worden. Eine Narbe verlief an ihrem Gesicht entlang und vorbei an den Ohren zum Nacken. Ein Lifting. Die
Fäden waren noch da, reichten aber nicht bis zum Ende der Wunde. Sie endeten auf Höhe des Ohrläppchens, als hätte der Chirurg den Eingriff abgebrochen. Wo nicht weitergenäht worden war, war rohes Fleisch zu sehen.
    Ich erkannte sie als Isabelle Connors.
    Die erste Frau, die vor über zwei Jahren verschwunden war.
    Ich drehte mich zu Megan um. Die Tränen strömten ihr übers Gesicht, als sie die tote Frau betrachtete. Ich zog sie an mich, um ihr den Anblick zu ersparen und das Geräusch ihrer Schluchzer zu dämpfen.
    Wir gingen weiter.
    Weitere Umrisse tauchten in der Dunkelheit auf und zeichneten sich im Licht des Telefons ab. Noch mehr Särge. Noch mehr Frauen. Alle blond, alle in derselben Haltung in Formalin treibend. Als ich an den

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