Blutiges Schweigen
Ledersofas und verschwand in der Küche.
Auf einigen Bücherregalen und auf dem Kaminsims waren Fotos von ihrem Mann angeordnet. Ich ging hin und griff nach einem davon. Es war auf irgendeinem Polizeifest aufgenommen worden. Sie trug ein geblümtes Sommerkleid und hatte das Haar aufgesteckt, er war in Uniform mit zwei silbernen Sternen an der Schulter. Gerade stellte ich das Foto weg, als Jill mit zwei Kaffeetassen hereinkam und sie zu dem Tisch brachte. Sie ließ sich auf dem anderen Sofa nieder.
»Dein Mann war Inspector«, sagte ich.
»Offenbar kennst du dich mit Rangabzeichen aus.«
»War er Detective?«
»Ja. Bevor er zur Metropolitan Police ging, war er in Valley. Damals sind wir deshalb nach London gezogen.«
»War er während eurer ganzen Ehe Polizist?«
»Immer«, antwortete sie und goss Milch in ihre Tasse. Dann zog sie ihre Halskette unter dem Pulli hervor. An ihrem Ende baumelte ein kleiner silberner Engel mit einem langen Speer in der Hand. »Das ist der heilige Michael.«
»Der Schutzpatron der Polizisten.«
»Richtig.« Sie lächelte. »Ich bin beeindruckt.«
»Als Journalist habe ich ziemlich viel von der Polizei mitbekommen.«
»Die Kette gehörte Frank. Eigentlich wollte ich sie mit ihm begraben lassen, doch dann habe ich sie lieber behalten. Es schien …« Langsam rührte sie in ihrer Tasse. »Es schien mir das Richtige zu sein.«
Ich nickte, um ihr zu zeigen, dass ich sie verstand.
Der Hauch eines Lächelns breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Manchmal kaufe ich im Supermarkt noch immer das ein, was er am liebsten hatte. Und an der Wand hängt weiter sein Schlüssel, für den Fall, dass er nach Hause kommt. Offenbar … offenbar habe ich mich noch nicht damit abgefunden, dass er für immer fort ist.«
»Darf ich dich fragen, was ihm zugestoßen ist?«
Sie verzog das Gesicht und sah mich kurz an. Als sie blinzelte, traten ihr Tränen in die Augen. Sie wischte sie weg, lehnte sich zurück und schloss beide Hände um die Kaffeetasse. »Man hat mir erzählt, er habe zu einer Sonderkommission gehört, die gegen die Russenmafia ermittelte. Es gab Verbindungen zu … wie heißt das noch mal, SOCA?«
Ich nickte. Die Serious Organized Crime Agency — die Abteilung gegen das organisierte Verbrechen. In meinem früheren Leben als Journalist hatte ich einige Leute beim National Criminal Intelligence Service gekannt, der später in der SOCA aufging. Bei ihrer Gründung im Jahr 2006 hatten die Medien sie als das »britische FBI« bezeichnet. Doch nur wenige der Mitarbeiter waren befugt, Verhaftungen vorzunehmen. Der Großteil der Tätigkeit dieser Organisation bestand aus Überwachungs- und Koordinationsaufgaben, weshalb der Vergleich mit dem MI5 besser passte.
Jill rutschte herum, und ein trauriger Ausdruck zeigte sich in ihren Augen. »Ein paar Wochen nach der Beerdigung war einer seiner Freunde hier.«
»Vermutlich inoffiziell.«
»Oh, ja, eindeutig. Ich glaube, ich tat ihm leid. Die Art und Weise, wie man mich … informiert hatte. In den Wochen nach Franks Tod habe ich versucht herauszufinden, was passiert ist, doch die amtliche Version, die seine Vorgesetzten mir aufgetischt haben, hat einfach nicht …«
»Sie klang unglaubwürdig.«
»Es waren einfach noch so viele Fragen offen.«
»Was meinst du genau?«
Sie zuckte die Schultern. »Sie haben mir erzählt, sie hätten kurz davorgestanden, einen wichtigen russischen Bandenchef hochgehen zu lassen. Sie hätten einen Tipp gekriegt, dass er sich in einem Lagerhaus in Bow aufhalten würde.«
»Und traf das zu?«
»Keine Ahnung.«
»Hat man dir das nicht gesagt.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Weil sie den Fall nicht an die große Glocke hängen wollten?«
»Richtig. Aber ich kenne mich gut genug mit Polizeiarbeit aus, um das zu verstehen. Ich wollte auch keine Einzelheiten über die Ermittlungen wissen. Nur, was Frank zugestoßen ist und wer ihn umgebracht hat.« Sie brauchte einen Moment, um sich wieder zu fassen. »Aber man hat mir lediglich erklärt, er und ein Kollege seien in die Brust geschossen worden.«
»Von wem? Dem Russen?«
»Es hieß, alles sei sehr schnell gegangen.«
»Also wussten sie es auch nicht?«
Ihre Stimme zitterte. »Offiziell nicht.«
»Und inoffiziell?«
Sie schwieg einen Augenblick. »Franks Freund sagte, der Boss, hinter dem sie her gewesen seien, sei ein Mann namens Akim Gobulev.«
Gobulev . »Der Geist.«
Sie sah mich an. »Hast du von ihm gehört?«
»Er steht schon seit
Weitere Kostenlose Bücher