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Blutiges Schweigen

Blutiges Schweigen

Titel: Blutiges Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Weaver
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Herz zu brechen. Sie fand Marks ruhige Art — seine Stille — neu, aufregend und Geborgenheit vermittelnd.
    Sie ging ins Bad, schloss die Tür und begutachtete sich noch einmal im Spiegel. Mit Mitte zwanzig hatte sie hin und wieder als Model gejobbt und auch nach ihrem dreißigsten Geburtstag optisch nicht nachgelassen. Das blonde Haar, die blauen Augen und die hohen Wangenknochen sorgten immer noch
dafür, dass sich die Männer nach ihr umdrehten, auch wenn sie hier und da einige Veränderungen wahrnahm. Vielleicht ein paar Kilo zu viel. Einige neue Fältchen in den Augenwinkeln. Der Bauch war nicht mehr ganz so straff. In zwei Tagen würde sie sechsunddreißig Jahre alt werden, und sie wusste, dass sie inzwischen kleine Makel aufwies. Aber sie hatte einen Mann gefunden, der darüber hinwegsehen konnte.
    Einen Mann, in den sie sich gerade verliebte.
     
    Nach etwa zwanzig Minuten Fahrt sagte Mark, sie könne die Augenbinde jetzt abnehmen. Sona streckte die Hand aus und entfernte die Krawatte. Ihr Schädel pochte ein wenig. Sie war nicht sicher, ob sich Kopfschmerzen ankündigten oder ob es an den plötzlich veränderten Lichtverhältnissen lag. Sonnenstrahlen strömten ins Auto, und als sie sich umschaute, stellte sie fest, dass sie in einer Parklücke in einer engen Wohnstraße standen, die auf beiden Seiten von identischen Reihenhäusern gesäumt wurde. Die meisten waren nicht sehr gepflegt: abblätternde Farbe an den Fensterbrettern, verwelkende Pflanzen in den kleinen betonierten Vorgärten, durchgerostete, windschiefe Regenrinnen.
    »Es wird besser«, sagte Mark und drehte sich zu ihr um. »Ehrenwort.«
    »Wo sind wir?«
    »Ich bin früher manchmal hierhergekommen.« Er zeigte mit dem Finger auf eine kleine Gasse zwischen zwei Häusern ein Stück die Straße hinauf. Soweit sie feststellen konnte, handelte es sich um die einzige Lücke zwischen den Gebäuden. »In den Wald da unten.«
    »Wald?«
    Mark stellte den Motor ab.
    »Während des Zweiten Weltkriegs gab es hier am Ende der Straße eine Munitionsfabrik. Die Gegend war eines der
wichtigsten Industriegebiete Großbritanniens. Und sieh es dir jetzt an …« Er betrachtete die Häuser auf der anderen Straßenseite. Als er sich wieder zu Sona umwandte, lächelte er. »Ach, Mist, jetzt rede ich schon wie mein Dad.«
    Sie lachte. Er lächelte wieder, griff dann neben seinen Sitz und förderte eine einzige rote Rose zutage. »Alles Gute zum Geburtstag, Sona«, meinte er leise.
    Sie nahm die Rose entgegen, um deren Stiel eine cremefarbene Schleife gewickelt war. Ein Ausdruck huschte über sein Gesicht — so als sei er im Begriff, ihr etwas Wichtiges mitzuteilen.
    Er will mir sagen, dass er mich liebt .
    Sie wartete einen Moment ab, und als nichts kam, beugte sie sich vor und küsste ihn sanft auf die Lippen. »Danke, Schatz«, erwiderte sie. Als sie zurückwich, bemerkte sie, dass sich seine Miene nicht verändert hatte. »Alles in Ordnung?«
    Er warf einen Blick auf die Gasse und drehte sich dann wieder zu ihr um.
    »Ich bin nur …« Er hielt inne. »Ich bin wirklich …«
    In dich verliebt .
    Lächelnd tätschelte sie ihm das Bein und küsste ihn auf die Wange.
    Erwies mit dem Kopf auf den Rücksitz. »Hoffentlich hast du Hunger.«
    Sie drehte sich um. Nachdem er ihr die Augen verbunden und sie zum Auto geführt hatte, hatte sie gehört, wie er etwas auf dem Rücksitz verstaute. Nun erkannte sie, dass es ein Picknickkorb war.
    »Soll ich dir unseren Picknickplatz zeigen?«, fragte er.
    »Ja«, antwortete sie mit leicht zitternder Stimme, »das wäre wunderschön.«
    Mark nahm den Picknickkorb und ging mit ihr weg vom Auto. Sie bogen in die Gasse ein und folgten ihr, bis sie an
einer betonierten, von einigen halb verfallenen Backsteinmauern durchzogenen Fläche endete. Offenbar war das die ehemalige Fabrik. Links und rechts von Sona erhoben sich weitere baufällige Mauern, Überreste einer anderen Ära. Manche hielten sich mühsam aufrecht, andere waren zu Gesteinshaufen zusammengesackt. Gras und Unkraut lugten aus den Fundamenten. Überall lag Müll herum: Bierflaschen, Getränkedosen, Chipstüten, Süßigkeitenpapier, Müllbeutel voller verdorbener Lebensmittel. Der Geruch war abscheulich.
    »Keine Sorge«, sagte er. »Es wird wirklich besser.«
    Vor ihnen lag der wie ein Mund geformte Eingang zu dem hohen Föhrenwald, von dem Mark gesprochen hatte. Alles war zugewuchert. Sie kamen an einem verbogenen, windschiefen Tor vorbei. Die Bäume, die sich

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