Blutiges Schweigen
Phillips.
»Keine Ahnung.«
Er betrachtete mich. »Wirklich?«
»Wirklich. Ich habe doch schon gesagt, dass ich erst seit einer knappen Woche an dem Fall dran bin.«
»Also haben Sie seit einer Woche Däumchen gedreht?«
Wieder Davidson. Seine Gesichtsfarbe hatte sich zwar inzwischen normalisiert, aber er schien noch immer sauer zu sein. Ich blickte ihn an. Nach einer Weile seufzte er, als hätte mein Schweigen seine Bemerkung bestätigt, und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Kaffeetasse zu.
»Charlie war nicht unbedingt das, was man sich unter einem typischen Mordopfer vorstellt«, merkte Phillips an.
»Da stimme ich zu.«
»Welchen Grund hätte es also dafür geben können?«
»Ich weiß es nicht.«
»Und sein Vater?«
Ich zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht.«
»Denken Sie, es hat etwas mit Megan Carver zu tun?«
Offenbar stand die Antwort für ihn schon fest, und mir
wurde klar, dass die Ermittlungen im Fall Carver gerade wieder an Wichtigkeit gewonnen hatten. Ich hätte die beiden von Anfang an belügen und vortäuschen können, dass nicht Megans Verschwinden mich zu den Bryants geführt hatte. Doch das hätte mir niemand geglaubt. Eines stand jedenfalls fest: Sie würden sich mit Jamie Hart in ein Besprechungszimmer zurückziehen, sobald ich das Gebäude verlassen hatte.
»Ich kann nicht sagen, ob ein Zusammenhang mit Megans Verschwinden besteht«, antwortete ich schließlich.
Wieder ein Schnauben von Davidson. »Natürlich nicht.«
»Möchten Sie, dass ich etwas erfinde?«
»Schon gut«, erwiderte Phillips leise und legte seinem Partner die Hand auf den Arm. »DS Davidson, warum machen Sie nicht fünf Minuten Pause?«
Nach einem langen Blick auf mich erhob sich Davidson und ging hinaus. Phillips wartete, bis die Tür ins Schloss gefallen war, und wandte sich dann wieder an mich.
»Sie waren früher Journalist, richtig?«
Ich starrte ihn entgeistert an. Ach, deshalb hast du so lange zum Kaffeeholen gebraucht . Er hatte sich über meine Vergangenheit kundig gemacht. Nach meinem letzten Fall hatte ich zwei Tage bei Vernehmungen auf einem Polizeirevier herumgesessen. Alles, was ich während dieser achtundvierzig Stunden ausgesagt hatte, war sicher in einer Datenbank gespeichert, wo er es jederzeit nachlesen konnte. Also wusste er alles über mich, meine Vorgeschichte und meine Fälle.
»Warum der Berufswechsel?«
Ich zuckte die Schultern. »Warum nicht?«
»Hatten Sie keinen Spaß mehr am Journalismus?«
»Doch — bis meine Frau an Krebs erkrankt ist.«
»Hat sie es überstanden?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid, das zu hören«, erwiderte er freundlich. Er
wartete einen Moment ab und stützte wieder beide Handflächen auf die Tischplatte. »Sie wissen sicher, dass die Ermittlungen im Fall Carver noch laufen, oder? Ich nehme an, ihre Eltern haben Ihnen das erzählt.«
»Ich bin nicht sicher, ob das für sie eine Rolle spielt.«
»Oh?«
»Megan ist noch nicht gefunden worden. Nur das interessiert sie.«
Er antwortete nicht.
»Hören Sie, ich weiß nicht, was Sie hier veranstalten, aber es ist keine Frage von ich gegen Sie. Ich bin gegen gar niemanden, sondern will nur Megan Carver finden, genau wie DCI Hart.«
»Aber Sie verstehen doch sicher, dass Ihre Anwesenheit die Dinge verkompliziert.«
»In welcher Hinsicht? Hart hat sich nicht mehr bei den Carvers gemeldet, als sich die Ermittlungen totgelaufen hatten. Mit ihm sollten Sie reden, nicht mit mir.«
Er rieb sich mit den Fingerspitzen die Stirn, als versuche er, einem Kind etwas zu erklären. »Die Sache ist, David, dass Sie hier — ob wissentlich oder nicht — in etwas hineingeraten sind, und ich möchte, dass Sie sich wieder zurückziehen.«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich will, dass Sie den Fall Carver niederlegen.«
»Warum sollte ich das tun?«
Er seufzte auf. »Sie würden mir damit einen Gefallen tun.«
»Einen Gefallen?« Ich lehnte mich zurück und betrachtete ihn. Seine Augen waren dunkel und fixierten mich. »Haben Sie einen Hinweis?«
»Darüber darf ich mit Ihnen nicht sprechen.«
»Ich lege den Fall nicht nieder, um einem Menschen, dem ich vor einer Stunde das erste Mal begegnet bin, einen Gefallen zu tun. Hat eigentlich jemand hier innerhalb der letzten beiden Monate mit den Carvers gesprochen?«
»Natürlich.«
»Das heißt nicht, ein Anruf, um ihnen mitzuteilen, dass es keine neuen Erkenntnisse gibt. Vielleicht sollten Sie ihnen einmal einen Besuch abstatten und sich selbst
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