Blutinsel
durch die großen, mittlerweile fensterlosen Öffnungen der Wind fegte. Stück um Stück, Meter um Meter schob er sich voran. Schweiß tropfte von seiner Stirn, denn der Mantel, den er aus der Schäferhütte mitgenommen hatte, war warm und dick. Als er unterhalb einer Fensteröffnung angekommen war, verschnaufte er erst einen Moment, bevor er sich langsam aufrichtete und vorsichtig aus dem Fenster ins Dorf spähte. Die Main Street lag zu seinen Füßen. Da niemand auf der Straße zu sehen war, lehnte er sich ein weiteres Stück hinaus, um dann blitzschnell wieder zurückzuzucken. Zwei Polizisten in blauer Uniform schlenderten die Main Street entlang zum Hafen hinab. Er duckte sich und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Die beiden Beamten schienen es nicht eilig zu haben, doch es war kaum zu befürchten, dass sie dieses marode Gebäude betreten würden. Also übte sich Frank Duval in Geduld. Er hatte es nicht eilig, den ganzen Tag hatte er Zeit, wenn es darauf ankam. Er hatte heute nichts weiter vor, als den Mann ausfindig zu machen, der ihm zu einem besseren Leben verhelfen konnte.
Beinahe eine halbe Stunde war vergangen, bevor er es wagte, einen weiteren Blick aus der fensterlosen Öffnung zu werfen. Und offenbar sollte er heute Glück haben, denn am Ende der Straße sah er es, und es gab keine Zweifel. Es war genau so, wie Tyler es ihm beschrieben hatte. Rote Fensterläden und eine rot gestrichene Bank neben der Treppe zur Haustür, und wenn er seinen Augen trauen konnte, denn das Haus war wohl knapp einhundert Meter entfernt, dann hing über der Tür der präparierte Kopf eines Stieres. Er starrte auf das Haus und empfand ein Gefühl dabei, als hätte er in den letzten acht Jahren keinen glücklicheren Moment erlebt. Schon wollte er sich wieder auf den Boden niederlassen, als die Tür des Hauses geöffnet wurde. Ein groß gewachsener Mann kam heraus und ging den Fußweg entlang. Dort stand eine zweirädrige Karre, die er ergriff, bevor er das Grundstück verließ und in Richtung Hafen ging. Er kam direkt auf ihn zu, immer näher kam er, und Duval würde das Gesicht des hinkenden Mannes nie mehr vergessen. Er duckte sich, als der Mann mit der Karre direkt vor ihm die Straßenseite wechselte.
Duval griff in seine Hosentasche und holte einen goldenen Ring mit einem schwarzen Stein daraus hervor. » Heute Nacht werden wir beide uns kennenlernen, mein Freund « , murmelte er leise, während er den Ring zwischen seinen Fingern drehte.
Parish Hall, Hell’s Kitchen Island, Maine,
21 . März 2007 , 10 . 15 Uhr (Mittwoch)
Linda Crawford war ein nerviges Frauenzimmer. Und Nathan Cole hing an ihr, besser gesagt an ihrem Geld, wie eine Klette. Dennoch, die beiden hatten weder mit der Mordserie auf Hell’s Kitchen Island noch mit Frank Duval etwas zu tun, dessen war sich Cathy sicher. Sie lebten zwar in einer Villa am Western Peak, aber sie waren kein Bestandteil der Einwohnerschaft auf dieser Insel. Sie waren Zaungäste, nicht mehr und nicht weniger, so sahen sie sich selbst, und so wurden sie auch von den meisten Insulanern gesehen. Außerdem gab es keine rechtliche Handhabe, die beiden auf der Insel festzuhalten. So hatte Cathy ihrer Abreise zugestimmt, als die beiden zu ihr kamen. Vorsichtshalber hatte sie Crawfords Telefonnummer und Adresse in Chicago notiert, falls ihre Aussage noch einmal notwendig sein sollte. Cathy glaubte das allerdings nicht, da beide unabhängig voneinander ihre Alibis bestätigt und ansonsten nichts weiter von den Morden mitbekommen hatten. Sie war erleichtert, als die nervige Frau mit ihrem Begleiter ihr Büro verlassen hatte, und kochte sich erst einmal einen starken Kaffee, bevor sie die zweite offene Sache, das Gespräch mit Malcom Hurst, erledigen wollte. Hagen und Jarwood schlichen irgendwo auf der Insel herum, und da Captain Stoddart wohl längere Zeit ausfiel, würde Commissioner Blight nicht umhinkommen, einen neuen Leiter der Mordkommission zu bestimmen. Hagens Aussichten waren da auf Grund seiner langjährigen Dienstzeit und seines Alters nicht die schlechtesten. Aber eines war klar, sie würde diesen Fall erst aus der Hand geben, wenn sie eine offizielle Abberufung von einem Dienstvorgesetzten erhielt. Bis dahin dachte sie nicht im Traum daran, das Feld zu räumen.
Nach dem Kaffee suchte sie zunächst Kelvin Bould auf, der sich von seiner Schussverletzung, die er Hursts Traumtänzer-Kommando verdankte, inzwischen wieder einigermaßen erholt hatte. Bould verzichtete
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