Blutjägerin (German Edition)
seit der ersten Begegnung, ob dieses entstellte Wesen wirklich der Vater war, den er gekannt hatte oder ob nur noch die wenigen vertrauten Gesichtszüge an ihn erinnerten. Als wäre er von der Dunkelheit dieser Kreatur aufgesaugt und verzehrt worden.
„Schau in den Spiegel, mein Sohn.“
Lautlos, als schwebe er über den Boden, bewegte sich der Assassine durch den Raum. Jonathan folgte seiner Anweisung und betrachtete sich im Spiegel. Er sah sein Gesicht, wie er es gewohnt war.
„Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst.“
„Wie alt bist du?“
Er musste überlegen. Er hatte irgendwann aufgehört, die Jahre zu zählen.
„Fünfundsechzig?“
„Sieht so das Gesicht eines Fünfundsechzigjährigen aus?“
Jonathan betrachtete sein nahezu faltenloses Gesicht und das volle blonde Haar. Ein eisiger Schauder lief über seinen Rücken, als die Worte seines Vaters zu ihm vordrangen.
„Du müsstest ein alter Mann sein, Jonathan, ein alter Mann.“ Er hob die Arme, flatterte wie eine Fledermaus mit den Ärmeln der Robe. Das Bild im Spiegel veränderte sich.
„Was zum Teufel?“ Jonathan wich zurück, blickte in das faltige Gesicht.
„Ganz ruhig … es ist nur eine Illusion.“ Als der Assassine seine Arme senkte, stand Jonathan wieder dem gewohnten Spiegelbild gegenüber.
„Du bist ein ganz besonderer Bastard, nicht einzigartig, denn es gibt noch weitere wie dich. Genau wie du, wissen auch sie nichts von ihrem wahren Ich. Du bist beinahe das, was dieses Serum erschaffen soll.“
Allmählich verstand er gar nichts mehr. Er blickte in den Spiegel, schaute zu seinem Vater und wieder in den Spiegel.
„Erinnerst du dich an deinen Tod? Nein, natürlich nicht, ich habe dir jegliche Erinnerung daran genommen.“
Für einen Augenblick versank Jonathan in einen kurzen tranceartigen Schlaf. Er fand sich in den Straßen von Venedig wieder, vor ihm ein Mann mit schwarzem Kurzhaarschnitt, der sich auf ihn stürzte, ihn zu Boden riss.
„Stirb den Tod der Rache“, herrschte ihn der Fremde an, rammte die Fänge tief in seinen Hals. Schmerzen zuckten durch seinen Körper, als der Vampir mit gnadenlosen Zügen das Leben aus ihm hinaussaugte. Das Bild verschwamm, er fiel zu Boden.
Sein Herz raste, als er die Augen aufschlug und sich in der Gegenwart befand.
„Romain Vermont hat dich getötet, aus Blutrache für einen Überfall auf das Schloss der Vermonts, an dem die Vorfahren unseres Ordens einst beteiligt waren“, sagte sein Vater. „Doch du warst nicht tot. Sein Blut hat dich verunreinigt, hat so lange einen Funken Leben in dir gehalten, bis ich dich fand und dich zurückbrachte. Aus einem Grund, den ich dir nicht nennen kann, setzte die Metamorphose bei dir nie ein. Du bist weder Mensch noch Vampir, Jonathan, du bist ein unverwandelter Mischling, wie Arthur von Haineck es bezeichnete.“
„Ein Mensch, der nicht altert?“
„Nicht nur das. Du brauchst kein Blut wie ein Vampir. Dein Körper ernährt sich von seinem eigenen Blut und du bist einem Vampir in Sachen Schnelligkeit beinahe ebenbürtig. Arthur von Haineck war wie du, nur hatte er einen Weg gefunden, dieses Dasein noch zu stärken und auch andere Menschen zu dem zu machen, wonach er strebte. Er wollte diese Macht vollenden. Ich wusste um diese Zutat in den Aufzeichnungen des Alchemisten, und als du zu dem wurdest, nachdem ich so lange suchte, begann ich, meine Rache zu planen.“
Nun verstand er, weshalb sein Vater dieses Serum begehrte und er glaubte auch, zu verstehen, welche einzigartige Rolle er in diesem Plan spielte. Es war die perfekte Rache und mit nur einer Handvoll Jägern an seiner Seite würde er diesen seit Jahrtausenden tobenden Krieg zwischen Jäger und Vampiren zu einem siegreichen Ende führen können.
„Nein, wir wollen sie nicht alle töten, wir wollen sie unterwerfen“, sagte sein Vater.
Das Klingeln des Telefons unterbrach das Gespräch. Jonathan nahm den Anruf entgegen. Die Verbindung war schlecht, rauschte, knackte und brach zwischendurch immer wieder ab, dennoch verstand er die Botschaft seines Verbindungsmannes. Sophie Lacoste hatte einen Reinblüter gefangen und nicht nur das, es war Clement Vermont.
„Ich denke, wir haben die letzte Zutat gefunden, um das Rezept zu vollenden, Vater.“ Wenn er erst über die Macht dieses Jungbrunnens verfügte, würde er Richters Tochter zu seiner Braut machen. Bei dem Gedanken an sie erwachte das Leben in seiner Leistengegend. Bis er so weit war, dass er sie in seinen Händen
Weitere Kostenlose Bücher