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Blutkirsche

Blutkirsche

Titel: Blutkirsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Weitbrecht
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Rheinland, hatte er dort Sophie entführt und einem Kinderschänderring zugeführt? Die letzte Konsequenz seiner Überlegung mochte Lorenz sich nicht ausmalen.
    Aber Harry hatte anscheinend in seinem Gesichtsausdruck etwas gesehen, spätestens als er in die Hütte flüchtete, hätte er erkennen können, worum es ging, überlegte Lorenz.
    |124| Bevor er überhaupt Harry folgen konnte, verriegelte dieser die Tür von innen.
    Lorenz klopfte und rüttelte, er schrie: „Mach auf, du Schwein! Komm heraus! Mieses Stück Dreck! Du kannst dich nicht ewig wie eine Ratte verstecken!“
    Er bekam keine Antwort. Irgendwann musste der Kerl doch auftauchen, zumal er erzählt hatte, als Vorsitzender müsse er die Festkasse führen. Auf seine Hacke gestützt wartete Lorenz, während sein Zorn ihn rasend machte.
    Lorenz hielt sich für einen spirituellen Menschen, aber seitdem das Schicksal ihn so beutelte, war sein Glaube verloren gegangen – so wie man ein Portemonnaie verlor und sich suchend fragt: Wo habe ich es zum letzten Mal gesehen? Wie viel war drin? Kann ich es verschmerzen?
    Was für einen Sinn machte es, ein Kind auf diese Art und Weise zu verlieren, machte es überhaupt Sinn, so zu leiden?
    „Dies ist eine Prüfung Gottes“, predigte der Pfarrer, als Lorenz ihn um Hilfe bat. „Ihre Tochter ist jetzt bei Gott im Himmel! Beten Sie! Gott ist unsere Zuversicht!“
    Warum hatte Gott es zugelassen, dass Sophie verschwand? Warum ließ er es zu, dass unschuldige Kinder litten?
    Wenn es einen Gott gab, warum geschah so viel Böses? Aber das Böse des Menschen zeigte sich nicht in ihren Gesichtern, sondern in ihren Taten. Selbst den KZ-Wächtern sah man ihre Verbrechen nicht an. Nach außen hin Biedermänner, die selbst Kinder hatten, sogar im Vernichtungslager mit der Familie wohnten, aber Tausende Frauen, Männer und Kinder, sogar Babys in den Tod geschickt hatten.
    Als er so auf einer Mauer saß und nachdachte, was er nun mit Harry Kohl anstellen würde, wenn dieser endlich herauskäme, kamen ihm Zweifel, ob diese Wildwestmanier der Sache dienen würde.
    Angenommen er würde ihn zusammenschlagen, vielleicht so verprügeln, dass Kohl verletzt oder sogar tot sei, würde er ins Gefängnis kommen und könnte Sophie nicht aus den Klauen der Mädchenhändler befreien.
    Obwohl Lorenz früher die Scharia als mittelalterlich und barbarisch verurteilte, wünschte er sich inzwischen, dass sie bei Männern, die sich an kleinen Kindern vergriffen, angewandt würde.
    |125| Das Gartentor ging auf und Ullrich Theisen betrat die Parzelle. Überrascht sah er Lorenz an. „Was ist denn los? Wir vermissen Harry mit dem Wechselgeld!“
    Die Laubentür öffnete sich. Harry Kohl ignorierte Lorenz und dessen drohende Gebärde, klopfte Theisen auf die Schulter, sagte: „Komme ja schon!“, und verschwand mit ihm eiligen Schrittes in Richtung Hauptweg und Festzelt. Lorenz hörte nur noch, dass er Ullrich auf dessen Frage, was mit dem Nachbar los sei, antwortete: „Der ist sauer, weil ich ihn abgemahnt habe.“
    Lorenz war nichts anderes übrig geblieben, als unverrichteter Dinge abzuziehen. Zeugen, für das was er vorhatte, wollte er nicht dabei haben. Die Chance, Harry anzuzeigen, war durch seine emotionale Reaktion vertan, nun löschte Harry bestimmt die verräterischen Aufnahmen, wenn er es nicht bereits getan hatte, und die Polizei würde umsonst suchen. Aber sicher vernichtete dieses Schwein die Festplatte, indem er sie ausbaute und wegwarf. Dann stände Lorenz wie ein Blöddackel da.
    In der Nacht, sobald alle Festgäste gegangen waren, würde er ihm auflauern. Harry sollte nicht ungestraft weiterleben, dies hatte Lorenz sich vorgenommen.
     
    Anne wollte gerade die Treppe hochgehen, als die Küchentür im Parterre aufging und ihre Mutter rief: „Anne, bist du das? Kommst du mal?“
    Anne seufzte, sie schaute auf ihre Armbanduhr. Schon nach zwanzig Uhr. Sie war einfach zu müde, um sich auf einen Disput einzulassen und sich nach dem anstrengenden Arbeitstag noch um ihre Mutter zu kümmern.
    „Ja, natürlich bin ich es. Was gibt’s?“
    „Sieglinde ist weg!“
    Mit einem Mal wurde Anne hellwach. „Wie weg? Wohin denn?“
    „Achim kam heute Vormittag, hat ein Wahnsinnstheater gemacht, und Sieglinde ist dann mit ihm gefahren.“
    „Freiwillig?“, fragte Anne erstaunt. Sie hatte den Eindruck gehabt, dass Sieglinde heilfroh gewesen war, dass sie Achim nicht mehr sehen musste und dass sie bei ihnen bleiben wollte. Anne hatte sich darauf

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