Blutkirsche
kommen!“
Anne stellte ihr Auto vor ihrem Haus ab und ging zu Fuß zum Gymnasium.
Gerade fing die Pause an, und die Schüler strömten aus dem Portal. Es herrschte ein Summen wie in einem Bienenstock.
Und genauso eifrig zogen sogleich einige ihre Zigaretten aus der Tasche und pafften darauf los. Julian fehlte. Gott sei Dank rauchte er nicht.
Anne betrachtete im ersten Stock des Jugendstilgebäudes an den Wänden neben Sekretariat und Klassenzimmer die Kunstausstellung eines jungen Malers, der seine surrealistischen Bilder in kräftigen Blau-, Schwarz- und Rottönen hielt.
Die Vernissage hatte Anne versäumt. Mal wieder Überstunden absolviert!
Anne war wütend. Die Aussprache mit dem Lehrer hatte nichts, aber auch gar nichts gebracht, weil dieser Ausflüchte benutzte und die Klasse als Chaotenklasse bezeichnete. Auch von der Tatsache, dass Anne Polizistin war, ließ er sich nicht beeindrucken, obwohl Anne ihm unmissverständlich klar gemacht hatte, dass sie ein solches Verhalten nicht akzeptabel fände.
Der Schulleiter unterrichtete gerade, sodass Anne sich dort nicht beschweren konnte. Auf alle Fälle hatte sie mit der Sekretärin einen Termin für nächste Woche ausgemacht. Bis dahin musste sie sich gedulden. Da sie schon einmal in der Nähe war, ging sie zur Hauptschule in der Wiener Straße, die Natalie früher besucht hatte, und ließ sich die Schultagebücher mit den Einträgen über die fragliche Zeit kopieren.
|154| Auch die anschließende Durchsuchung der Gärten von Tressel und Möhrle hatte nichts ergeben. Kein Beil oder Axt! Allerdings: Ein Fund in Röslers Garten überraschte sie. Im Gewächshaus entdeckten sie Cannabis-Pflanzen. Das würde für den alten Mann noch Folgen haben. Eigentlich schade, sie fand den Schrebergärtner drollig und sympathisch.
Da die Gärten über keinen Stromanschluss verfügten, und die Spurenerfassung sich bis in die Nacht hinein ziehen konnte, entschloss Anne sich, die Durchsuchung von Wilma Fioris und Mike Finks Parzellen auf den nächsten Tag, auf Freitag, zu verschieben.
Marco war auf seiner Yamaha vorgefahren, saß wieder an seinem Schreibtisch und las die Stuttgarter Zeitung, als Anne das Büro betrat.
„Na, was gibt’s Neues?“, fragte Anne und schaute Marco über die Schulter. „Etwas über unsere Ermittlung und unsere Mörder? Die Presse ist meistens besser als wir unterrichtet.“
„Nein, nur das Übliche, oder nein doch nicht. Haben Sie das gelesen? Nicht nur wir sind auf Verbrecherfang!“ Marco zeigte auf eine große Überschrift: ‚Die Mörder sind noch immer unter uns‘.
„Die Amerikaner haben einen vermutlichen NS-Täter, der in Sobibor Gräueltaten begangen haben soll, an die Bundesrepublik ausgeliefert. Vierundsechzig Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager werden immer noch welche gefasst und vor Gericht gestellt. Man liest immer wieder, dass nach Kriegsende deutsche Gerichte teilweise zu milde Strafen ausgesprochen haben, und viele der Täter völlig ungeschoren davongekommen sind. Jetzt wird es höchste Eisenbahn sie zu verurteilen, denn deren biologische Uhr läuft ab.“
Marco legte die Zeitung nachdenklich weg und verkroch sich hinter seinen Computerbildschirm.
Froh darüber, dass ihr Assistent keine Antwort erwartete, drehte Anne sich um, verschob ihren Unterkiefer und biss sich auf die Lippe. Dann nahm sie Aktenordner aus der Beweiskiste. Sie schaltete ihren Rechner ein und verglich erneut die Dateien des Kleingartenvereins mit den papierenen Unterlagen. Das Telefon klingelte. Die Kriminaltechnik meldete sich: „Hier Mauser. Frau Wieland, wir schicken Ihnen jetzt unsere Ergebnisse im Mordfall Kohl rüber, oder wollen Sie selbst vorbeischauen?“
„Danke, Herr Mauser, hm, ich glaube, wir kommen zu Ihnen rüber, real ist immer besser als virtuell!“, entgegnete Anne und machte zu Marco, der interessiert aufsah, eine drehende Handgelenksbewegung mit ausgestrecktem Zeigefinger in Richtung Tür.
[ Menü ]
|155| 14
Das Labor des Kriminaltechnischen Institutes belegte fast den ganzen ersten Stock des Landeskriminalamtes in der Taubenheimstraße. Vor dem Betonklotz aus den Siebzigerjahren, unter den großen Kastanienbäumen, boten sich freie schattige Parkplätze an. Aber Anne fiel nicht darauf herein, ihr Auto wies seit dem Herbst schon genug Dellen auf. Die Kastanien hatte sie als Dekoration mitgenommen.
Bisher hatte es nicht geregnet, sogar die Sonne war hier und da zum Vorschein gekommen, aber jetzt
Weitere Kostenlose Bücher