Blutkirsche
sie zu.
Zurück im Hotel, das nahe der Pyramidenanlage lag, klebten die Körper der Liebenden in der Nacht, verschlungen in der übergroßen Hängematte, wie im Fieber aneinander.
Anne legte die Maske des Maya-Fürsten wieder in den Tisch. Dann nahm sie sich ein Herz und fing das Tagebuch ihrer Mutter an zu lesen.
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Anne hatte schlecht geträumt, aber während die Traumsequenzen sich in ihrem Kopf formten, überkam sie eine Klarheit, dass es kein Traum sein konnte, sondern eine Erinnerung: Sie war ein Baby, etwa ein Jahr alt und saß in einem ‚Ställchen‘ in der Küche. Ihre Mutter hielt einen Topf kochend heißes Wasser in den Händen. Ein Mann brüllte, dann prügelte er auf ihre Mutter ein. Der Topf fiel zu Boden, das Wasser wurde in einem Schwall herausgeschüttet und verbrühte Annes Arm. Sie hörte ihre Mutter laut aufschreien.
Als Anne schweißgebadet und wie gerädert aufwachte, streifte sie das Oberteil ihres Pyjamas ab. Sie tastete noch einmal an der Innenseite ihres linken Armes die Narbe ab, die wie eine Apfelsine oder Riesenerdbeere aussah.
Seitdem sie angefangen hatte, das Tagebuch ihrer Mutter zu lesen, traten immer mehr Erinnerungen, kurze Momentaufnahmen aus ihrer Kindheit zutage.
Sie musste es hinter sich bringen, vor allen Dingen mit Magda darüber reden, sonst würden die Fragen sie ihr weiteres Leben verfolgen.
Julian schlief noch. Anne duschte, bürstete ihre Haare, verzichtete auf ein großes Make-up. Sie zog einen Hosenanzug, dazu ein T-Shirt aus dem Kleiderschrank und legte die Kleidung auf das Bett. Dann ließ sie sich einen doppelten Espresso durchlaufen und setzte sich im Morgenmantel an ihren Computer, um ihre privaten Mails zu checken.
Sie loggte sich in den Server ihrer Abteilung ein und verglich drei Laborbefunde der Kriminaltechnik.
In der Küche im unteren Stockwerk rumorte es. Ihre Mutter war wach.
Samstagmorgen im Büro berief Anne eine erneute Sitzung ein. Die Unterlagen, die sie angefordert hatte, alle Laborbefunde, die Tests sowie die Ergebnisse der Spurensicherung lagen mittlerweile vor. Lifescans der Hände von Natalie konnten vorerst noch keine gemacht werden, die Beamten hatten kein mobiles Gerät dabei, aber ihre Krankenakte, sowie ihre Laborbefunde mit der DNS waren eingetroffen. Finks Fingerabdrücke |187| und seine DNS hatten die Kollegen abgenommen, auch diese verglichen Anne und Marco mit den vorhandenen Beweismitteln. Selbst das Ergebnis der genetischen Blutprobe und die Abdrücke der toten Wilma Fiori lagen bereits auf dem Tisch. Die Kriminaltechnik hatte sich selbst übertroffen. Auch Anne und Marco hatten ihre Hausaufgaben gemacht.
„Was haben wir?“, fragte Berger. Münch, der neue Direktor kam hinzu, nickte verbindlich, ebenso der Staatsanwalt Jochen Sommer. Frau Grimm fehlte immer noch, aber die Abteilungssekretärin erschien und schrieb eifrig mit.
„Nach den ersten Ergebnissen der Kriminaltechnik befanden sich drei Verdächtige in unserem Fokus“, begann Anne ihren Vortrag.
„Was wir heute mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen können ist: Wilma Fiori, unsere tote Krankenschwester, erschlug den Geschädigten Harry Kohl mit der Axt, die sie später unter ihrer Trockenmauer versteckte.
Erhärtet wird dies durch die Blut- und DNS-Proben des Getöteten auf einem Jogginganzug, den wir in Fioris Schrebergarten sicherstellten, sowie durch ihre Fingerabdrücke auf der Mordwaffe. Zwar waren die Abdrücke verwaschen und von den zwölf Merkmalen sind nur noch Fragmente übrig, aber die Kriminaltechnik konnte sie trotzdem sicherstellen. Es fanden sich außerdem Fioris Fingerabdrücke auf dem Stiel einer Hacke. Sie ist als zweite Waffe identifiziert worden, obwohl nur geringe DNS-Spuren des Getöteten am Blatt vorhanden waren, da die Hacke von einem Gartennachbarn – auf den ich später eingehen werde – abgespült wurde.
Die Täterin trägt Schuhgröße 39. Die Größe und Sohle ihrer Turnschuhe stimmen mit den Abdrücken auf dem Sand am Tatort überein. Frau Fioris Alibi ist laut Zeugenaussagen falsch. Außerdem flüchtete die Beschuldigte, als sie uns sah. Wie es endete, wissen alle.
Im Schrebergarten von Wilma Fiori entdeckten wir eine halb verweste Leiche, die unter einem Frühbeet vergraben lag. Der Zahnstatus muss noch verglichen werden; wenn dieser nichts ergibt, wird anhand des Schädels das Gesicht rekonstruiert. Aber alles deutet auf einen Ricardo Fiori hin, den Ehemann von Wilma Fiori, der
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