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Blutklingen

Blutklingen

Titel: Blutklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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einen Sack billiger Lumpen und schickte sich an, ihn so durchzuschütteln, dass ihm fast die Zähne aus dem Mund flogen. Äste kamen aus der Dunkelheit hervorgeschossen, schlugen nach den Seiten des Wagens und klatschten ihm ins Gesicht. Einer hatte Scheu den Hut vom Kopf gerissen, und ihr flatterte nun das Haar in die weit aufgerissenen Augen, die sie starr auf die unter ihnen hinwegeilende Straße gerichtet hielt, die Zähne gebleckt, während sie die Pferde mit den schauerlichsten Flüchen antrieb.
    Tempel stellte sich mit Entsetzen vor, welches Gewicht aus Holz, Metall und vor allem Gold sie da gerade einen Berg hinunterrasen ließen. Jeden Augenblick konnte das Gefährt, das gerade in einem Maße belastet wurde, das sicherlich jegliche menschliche Konstruktionskunst überstieg, auseinanderbrechen und sie beide mit sich reißen. Aber Panik war ein fester Bestandteil in Tempels Leben, und was blieb ihm anderes übrig, als sich weiter an dieser schlingernden Todesfalle festzukrallen, mit schmerzenden Muskeln von den Fingerspitzen bis zu den Achselhöhlen, während sich ihm vor Angst und Alkohol der Magen umdrehte. Schwer zu sagen, was furchterregender war – diese Schreckensfahrt mit offenen oder geschlossenen Augen zu erleben.
    »Halt dich fest!«, brüllte Scheu.
    »Was glaubst du, was ich tue, verdammte Schei…«
    Sie riss den Hebel der Bremse hoch, die Stiefel gegen die Fußstütze gestemmt, die Schultern gegen die Rückenlehne gedrückt, und vor Anstrengung traten die Sehnen an ihrem Hals hervor. Die Räder kreischten wie die Toten in der Hölle, und von beiden Seiten des Wagens stoben die Funken wie Feuerwerk am Kaisergeburtstag. Scheu zog mit der anderen Hand an den Zügeln, und die ganze Welt begann sich zu drehen und plötzlich auch zu neigen, als zwei der großen Räder sich von dem unter ihnen hinwegeilenden Boden lösten.
    Die Zeit verlangsamte sich. Tempel schrie. Scheu schrie. Der Wagen kreischte. Die Bäume am Rand der Kurve sprangen wie besessen auf sie zu und trugen den Tod in ihrer Mitte. Dann setzten die Räder krachend wieder auf, Tempel wurde beinahe über die Fußstütze geschleudert und wäre unter die schlagenden Pferdehufe gekommen, biss sich auf die Zunge und schluckte sein eigenes Kreischen hinunter, als er wieder auf den Sitz zurückgeworfen wurde.
    Scheu ließ die Bremse los und schnalzte mit den Zügeln. »Die hab ich vielleicht ein bisschen schnell genommen!«, schrie sie ihm ins Ohr.
    Die Grenze zwischen Entsetzen und Entrücktheit war fließend, und Tempel stellte unvermittelt fest, dass er sie gerade überschritten hatte. Er stieß seine Faust in die Luft und brüllte: »Scheiß auf dich, Coscaaaaaaaaa!« in die Nacht, bis ihm die Luft ausging und er keuchend auf den Sitz sank.
    »Geht’s dir jetzt besser?«, fragte Scheu.
    »Ich lebe! Ich bin frei! Ich bin reich!« Es gab eben doch einen Gott. Einen gütigen, verständnisvollen, freundlichen Großvater-Gott, der auch jetzt wohlwollend auf ihn herunterlächelte. »Früher oder später werden Sie etwas tun müssen, sonst kommen Sie nie zu was«, hatte Cosca gesagt. Tempel fragte sich, ob der Alte dabei an eine Tat wie diese gedacht hatte. Vermutlich eher nicht. Er packte Scheu, umarmte sie halb und brüllte ihr ins Ohr: »Wir haben’s geschafft!«
    »Bist du sicher?«, knurrte sie und knallte wieder mit den Zügeln.
    »Etwa nicht?«
    »Den leichten Teil vielleicht.«
    »Hä?«
    »Sie werden uns ja wohl nicht einfach so ziehen lassen, oder?«, rief sie über den pfeifenden Wind, als sie wieder an Fahrt gewannen. »Doch nicht mit dem ganzen Geld! Von der Demütigung gar nicht zu reden!«
    »Sie werden uns verfolgen«, murmelte er.
    »Das war ja der Sinn der Übung!«
    Tempel erhob sich vorsichtig, um sich umzusehen, und wünschte sich, weniger betrunken zu sein. Nichts als Schnee und Dreck, der von den ratternden Hinterrädern hochgeschleudert wurde, und die Bäume an den Seiten der Straße, die wieder in der Dunkelheit verschwanden.
    »Sie haben aber doch keine Pferde?« Seine Stimme hob sich am Ende zu einem hoffnungsvollen, kleinen Wimmern.
    »Süß hat ihnen ein paar Steine in den Weg gelegt, aber sie werden schon noch kommen! Und dieses Wägelchen hier ist nicht das schnellste!«
    Tempel sah sich wieder um und wünschte sich, er wäre noch betrunkener. Die Grenze zwischen Entrücktheit und Entsetzen war fließend, und er kehrte gerade zügig zum Ausgangspunkt zurück. »Vielleicht sollten wir den Wagen anhalten. Dann nehmen

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